Blutbad im Kopf
Die allmontägliche Kolumne für die ganze Familie

Die digitale Revolution

Heute geht es ausnahmsweise mal nicht darum, wie schlecht die Welt ist und wie dumm ihre Bewohner. Stattdessen nutze ich den Raum für eine kleine Privatutopie. Und zwar geht es um eines der wenigen gute Dinge, die uns die letzten Jahre (bzw. Jahrzente) gebracht haben: Das Internet.

Einmal abgesehen von der (an sich schon fantastischen) Möglichkeit von prinzipiell nahezu instantaner Kommunikation hat das Internet auch eine Wissensrevolution mit sich gebracht. Das gesamte Wissen der Welt ist nur einen Mausklick weit entfernt. Solche hochtrabenden Worte mögen noch etwas übertrieben sein, aber meiner Meinung nach ist das entscheidende Wort hier "noch". Besonders die diversen Wikimedia-Projekte, allen voran die Wikipedia, haben in den letzten paar Jahren gezeigt, daß erstaunlich viele Menschen diese Vision teilen. Wikimedia hat sie sogar prominent auf ihrer Webseite angebracht:

Imagine a world in which every single person is given free access to the sum of all human knowledge. That's what we're doing.

Wenn man das beinahe exponentielle Wachstum der Wikipedia bedenkt und davon ausgeht, daß auch nur ein kleiner Prozentsatz von all diesen Wikipedianern zu den anderen Projekten herüberschwappt, sind das sonnige Aussichten. Ähnlich Erfreuliches passiert schon seit etwas längerer Zeit mit Software unter dem Label Open Source.

Aber darum soll es hier gar nicht gehen. Das Internet hat nämlich noch eine weitere Revolution auf der Pfanne: Es wird in absehbarer Zeit die herkömmlichen Unterhaltungsmedien ablösen. Ähnliche Gedanken vertritt übrigens Scott McCloud in seinem Buch Reinventing Comics, wenn er sich auch im Wesentlichen auf die Distribution von Comics bezieht, aber da machen wir natürlich noch lange nicht halt.

Seit dem Aufkommen der Zeitung zu Beginn der Renaissance (oder zum Ende des Mittelalters sind Massenmedien größtenteils eine Einbahnstraße gewesen. Ein Umstand, der sich bis in die heutige Zeit erhalten hat. Der Grund dafür liegt natürlich nicht darin, daß die meisten Menschen einfach nichts zu sagen hätten, sondern vielmehr in den immensen Produktionskosten und zum Teil in annähernd monopolistischen Distributionsstrukturen* (Frequenzvergabe bei Radiosendern und Kanalzuweisung bei TV-Stationen). Aber viele dieser Hindernisse sind mit dem Aufkommen des Internet mit einem Schlag hinfällig geworden. Zumindest im Prinzip, und in den letzten Jahren ist auch die Software soweit gereift, daß sie es inzwischen auch faktisch sind.

Schauen wir uns jedes der drei traditionellen Massenmedien Zeitung, Radio und Fernsehen einzeln an und prüfen inwieweit unsere These trägt.

Das mit großem Abstand älteste Massenmedium, die Zeitung, befindet sich aufgrund des Aufstieg des Internet bereits mitten im Überlebenskampf. Links und rechts müssen sich traditionsreiche Blätter gegen den Konkurs wehren (zuletzt z.B. die Süddeutsche Zeitung oder Le Monde (hierzu habe ich leider keine Links gefunden)) und suchen sich schon verzweifelt andere Einnahmequellen (z.B. das Herausgeben von Literatur oder Filmklassikern). Der Grund ist klar, denn nicht nur haben die Tageszeitungen den Aktualitätsvorsprung, der seit Ewigkeiten ihr hervorstechendstes Merkmal war, längst an Radio und Fernsehen verloren, inzwischen gibt es mit dem Internet eine Informationsquelle, die mir genau dann zur Verfügung steht, wenn ich sie brauche. Und die Informationen kommen nicht länger nur aus einigen wenigen Quellen. Vielmehr kann heutzutage jeder Mensch seine eigene Zeitung produzieren und per Internet der ganzen Welt zugänglich machen. Und spätestens seitdem es gute Content-Management-Systeme als Free- oder Shareware gibt, steht diese Möglichkeit wirklich jedem offen, auch denjenigen mit geringen Computer-Kenntnissen. Der nach außen prominenteste Vertreter solcher Systeme ist sicherlich das Weblog. Nicht zuletzt deswegen, weil Dienste wie Blogger oder LiveJournal ein leicht zu bedienendes Web-Interface anbieten, so daß man sich nicht einmal mehr um den Webspace selbst kümmern muß. Und diese sogenannten Blogs, kommen in allen möglichen Geschmacksrichtungen, Nachrichten und Politik sind da nur einige der möglichen Themen. Gerade die politischen Blogs haben in letzter Zeit, z.B. durch Rathergate, dafür gesorgt, daß auch die traditionellen Medien diese neue Bedrohung ernst nehmen.

Außer den oft wenig objektiven Weblogs eröffnet andere (und manchmal auch dieselbe) Software auch weitergehende Möglichkeiten, die sich durchaus mit "richtigen" Zeitungen messen können. Als Beispiele seien nur die unabhängigen Nachrichtenseiten Indymedia oder das noch in den Kinderschuhen steckende Wikinews genannt. Oder das mitunter hervorragende Group Blog A Fistful of Euros, das sich beispielsweise mit seiner Berichterstattung über die Orangefarbene Revolution hervorgetan hat. Beim Medium Zeitung ist der Kampf schon beinahe zugunsten des Internet entschieden.

Für das Medium Radio gilt im Prinzip dasselbe wie für die Zeitung, nur daß die Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten ist. Da sich in letzter Zeit das Prinzip der Flatrate immer mehr durchzusetzen beginnt, steht dem Erfolg von Internetradiostationen, die z.B. das Winamp- und xmms-kompatible Shoutcast verwenden eigentlich nichts mehr im Wege. Dies sind allerdings schon die mindestens halb-professionellen Varianten. Doch gerade im letzten Jahr sind zwei Systeme auf der Bildfläche erschienen, die das Radio ebenso schnell und nachhaltig ins Web zerren könnten (und vermutlich auch werden), wie Blogs es mit Zeitungen und Zeitschriften taten: Zum einen ist das Audioblogger ein Audio-Plug-In für Blogger-Weblogs, und zum anderen Podcasting, ein Übertragen des RSS-Newsticker-Prinzips auf kurze Audio-Beiträge. Wenn man bedenkt, daß Podcasting noch kein Jahr alt ist und es bereits fast 5000 verschiedene Podcasts gibt, sollte klar sein, wohin die Richtung geht. Und ebenso wie bei Weblogs wird hier vermutlich ein reger Austausch innerhalb der Community stattfinden, so daß die qualitativ hochwertigen Angebote quasi automatisch und ohne eigenes Zutun an die Oberfläche gespült werden. Wenn dann die Musik-Download-Portale noch Radio-Optionen anbieten, bei denen man sich eine Tracklist zusammenstellt oder ein Genre aussucht und dann für ein paar Cent pro Titel einen Stream angeboten bekommt, können die herkömmlichen Stationen einpacken. Im Gegensatz zu Zeitungen kann hier in den allermeisten Fällen nämlich auch nicht die Qualität ein Fortbestehen rechtfertigen.

Das Fernsehen hat in diesem Prozeß noch eine Schonfrist. Das liegt zum einen daran, daß bei den meisten Internet-Nutzern, die Bandbreite noch nicht für Streaming-Video in vernünftiger Qualität und Größe (Stichwort: Video-Briefmarken) reicht, zum anderen ist das Produzieren einer Fernsehsendung doch noch eine Spur aufwendiger als es das bei einer Radiosendung ist. Das erste Problem ist erfahrungsgemäß nur eine Frage der Zeit. So wie die Telekom und ihre Konkurrenten die DSL-Technik momentan pushen, könnte es sich schneller erledigen als man vielleicht jetzt noch glaubt. Das zweite ist sicherlich eine Spur kniffliger. Besonders aufwendige Serien benötigen ja allein schon eine recht ansehnliche Zahl von Schauspielern. Einfacher sieht es da bei anderen Formaten aus. Eine Ratgeber-/Informations-Sendung, die nur aus Moderation und Kleinbeiträgen besteht, wie z.B. nano, dürfte bereits im Bereich des Möglichen liegen, und Reality-Formate wie Big Brother sind eher eine Weiterentwicklung der Webcam und nicht umgekehrt. Langfristig könnte auch das Serienproblem gelöst werden, wenn man es irgendwann schafft, die Schauspieler komplett am Rechner zu erzeugen. Ein Vorgehen, das ja bereits in Filmen wie Sky Captain and the World of Tomorrow oder Polarexpress erprobt wird. Relativ kurzfristig vorstellbar wäre ein ähnliches Format wie das im vorigen Absatz für's Radio vorgeschlagene, bei dem man sich sein eigenes Fernsehprogramm aus einer großen Mediathek quasi On-Demand bastelt und dann direkt dafür bezahlt. Das könnte vielleicht auch das Werbe-Problem endlich aus dem Weg schaffen oder zumindest eindämmen.

In nicht allzuferner Zukunft kann also jeder sein eigenes Massenmedium herausgeben, ohne vorher enormes Startkapital herbeizuschaffen. Man kann allerdings nicht erwarten, daß alle Menschen so eine Arbeit als Freizeitvergnügen oder aus purem Idealismus machen. Daher dürfte der Sieg des Internet in diesem Bereich erst dann vollständig sein, wenn sich eine realistische Zahlungskultur in digitalen Medium etabliert hat. Damit ist zum einen die Einstellung der Surfer gemeint, die jahrelang alles umsonst geliefert bekommen haben, und nun erst einmal nicht einsehen, warum sie plötzlich bezahlen sollen - eine Einstellung von der auch ich mich nicht freispreche. Ich bin zwar ein starker Befürworter von frei (und kostenlos) zugänglichen Portalen im Wikipedia-Stil, aber man muß einsehen, daß jemand, der eine zeitungsäquivalente Webseite oder ein gelungenes Radioprogramm gestaltet und regelmäßig aktualisiert, auch gern von dieser Arbeit leben möchte. Zum anderen muß sich endlich ein sicheres und bequemes Micro-Payment-System auf dem Markt etablieren. Im anglo-amerikanischen Raum scheint PayPal dabei zu sein, sich durchzusetzen, aber hierzulande zeichnet sich noch kein so deutlicher Sieger ab. Wenn diese beiden Punkte erfüllt sind, und ich nehme an, daß es in überraschend kurzer Zeit so weit sein wird, kann nichts mehr den Siegeszug des Internet aufhalten.

Der vielleicht angenehmste Effekt des Ganzen könnte sein, daß die Qualität des Angebots endlich wieder steigt, nachdem sie in den konventionellen Medien (allen voran im Fernsehen) immer schneller ins Bodenlose stürzt. Man hat endlich wieder einen echten Einfluß auf die Programmgestaltung, indem man für die guten Angebote zahlt und die schlechten links liegen läßt, eine Möglichkeit, die durch das momentane dubiose Quotensystem nicht (jedem) gegeben ist. Das sind doch eigentlich rosige Aussichten, oder?



*Stimmt. Heute haue ich fremdworttechnisch mal richtig auf die Kacke. Es ist mir ein inneres Laubhüttenfest.



PS: Ursprünglich wollte ich in diesen Text auch aufnehmen, welche Möglichkeiten sich hierdurch für Autoren ergeben und in diesem Zusammenhang auf die beiden durch das Internet vertriebenen Romane Godwalker (Rezension) und Warp (Rezension) und hinweisen. Auch Greg Stolzes innovatives Ransom-Modell sollte Erwähnung finden. Aber diese Kolumne ist sowieso schon zu lang, weshalb ich darauf verzichte.



Literatur-Tip: Scott McCloud - Reinventing Comics, Seiten 154-199 (amazon)




[Kreetrapper - 11.04.2005]