Blutbad im Kopf
Die allmontägliche Kolumne für die ganze Familie

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Nach so einer Nacht schreibt sich das Blutbad ja praktisch von selbst.

Wer hätte das nach all den schlechten Befürchtungen gedacht. Wer hätte gedacht, daß sie sich nach einem doch recht deutlichen Rückstand noch erholen würden. Und doch ist das unmöglich Scheinende geschehen: Die deutsche Nationalmannschaft hat Rußland besiegt, ist damit Gruppenzweiter und muß vor ihrem Qualifikationsspiel gegen die Türkei nicht über 600 Kilometer quer durch Serbien fahren. Es war ein zerfahrenes Spiel, oder wie ich es die ganze Zeit über in den Fernseher schrie: Not gegen Elend. Noch im dritten Viertel hatten die Mannschaften Trefferquoten von unter 30, bzw. unter 20 Prozent. Nach dem ersten Viertel stand es 10:8, nach dem zweiten 26:16 für die Russen. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Russen haben grottenschlecht gespielt, aber die Deutschen eben die meiste Zeit über noch grottenschlechter. Nur zwei kurzen lichten Momenten in der Offense zum Ende der letzten beiden Viertel und einer überragenden Verteidigung ist es zu verdanken, daß hier doch noch ein glücklicher Sieg für die deutsche Mannschaft heraussprang.

Und ja, es gab noch einen weiteren überraschenden Sieger gestern. Hören wir einmal in die berüchtigte "Elefanten-Runde" hinein:

"[der Wähler hat entschieden,] daß niemand außer mir in der Lage ist, eine stabile Regierung zu stellen; niemand außer mir."

"Glauben Sie im Ernst, daß meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, in dem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden? Ich mein', wir müssen die Kirche doch auch mal im Dorf lassen."

"34,2%; damit kann man zumindest nicht der starke Führer einer neuen Regieung sein." "Aber Entschuldigung, natürlich kann ich das."

Wir sehen, der Bundeskanzler hat die Wahl mit 34,2% der Stimmen locker gewonnen. Allen tatsächlichen numerischen Fakten zum Trotz. Und irgendwie hat er ja auch recht, denn gemessen an dem, was in allen Umfragen, auch noch bis kurz vor der Wahl, prognostiziert wurde, ist das fast schon ein Traumergebnis für die Sozialdemokraten. Und offenbar hat Schröder das mit ein paar (il)legalen Drogen gefeiert (oder er hielt es wie die Fantastischen Vier und hat sich am Leben selbst berauscht), vielleicht bereits im Geiste der heute vielbeschworenen Jamaica-Koalition. Dieser Name kommt übrigens im Ausland extrem gut an. So hat die jamaikanische Botschafterin alle Beteiligten einer solchen Koalition - sollte sie denn zustande kommen - erst einmal in ihr Land eingeladen. Als Dank für die großartige Werbung.

Zu den Gewinnern der Wahl zählt übrigens auch einer, der gar nicht angetreten ist. Der türkische Ministerpräsident Erdogan freut sich, daß die anti-türkischen Parolen der CDU beim Wähler so schlecht angekommen sind und dem Beginn von Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober nun nichts mehr im Wege steht. Türkische Zeitungen sprechen bissig von einer privilegierten Absage der Wähler an Merkel.

Als jemand, der kein großer Freund von Statistik, Demoskopie und Psychohistorik ist, freue ich mich übrigens besonders darüber, daß das Ergebnis so deutlich von den Prognosen abwich. Nicht so schön ist die fast schon asoziale Haltung aller anderen Parteien gegenüber der Linkspartei. So laden die beiden zukünftigen Kanzler (d.h. die Spitzenkandidaten der stärksten Parteien) demonstrativ alle Parteien zu Sondierungsgesprächen ein, außer der Linkspartei. Da ist es auch nicht weiter verwunderlich, wenn auch eben diese Linkspartei ebenso allen neoliberalen Parteien die Zusammenarbeit kategorisch verweigert.

Überhaupt ist eine Regierungsbildung völlig unmöglich, wenn sich alle an ihre Aussagen halten:

  • Münte schließt eine Regierungsbeteiligung der SPD ohne Kanzler Schröder aus.
  • FDP schließt Ampel aus.
  • Und daß die bizarre Schwampel* kommt, ist doch sehr unwahrscheinlich, weil die Grünen damit ihre klassischen Wähler dermaßen vor den Kopf stoßen würden, daß die Partei praktisch dem Untergang geweiht wäre.


Was bleibt also? Wenn alle zu ihren Aussagen stehen, eigentlich überhaupt nichts. Da das aber nicht sein kann, wird wohl irgendwer umfallen. Bleibt nur noch die Frage, wer zuerst blinzelt.

Zu den wenigen Vernünftigen in dieser Situation gehört Birgit Unger, die gegenüber der WR in etwa sagt, daß sich die Leute nicht so anstellen und endlich mit der Linkspartei koalieren sollen. Rot-rot-grün hat (zumindest laut Wahlprogramm) sicherlich mehr Gemeinsamkeiten als eine Ampel oder die abstruse Jamaica-Koalition.



* Wort des Tages: Schwampel - Da soll noch einer behaupten, Blending gäbe es nur in der englischen Sprache.


[Kreetrapper - 19.09.2005]

[Anmerkung der Red: Üblicherweise entsteht das Blutbad bereits am Wochenende und ist dann pünktlich zum Montag publikationsreif. Aus naheliegenden Gründen war das diesmal anders.]