Blutbad im Kopf
Die allmontägliche Kolumne für die ganze Familie

Bundesvisionen

Menschen, die wie ich schon etwas älter sind, können sich vielleicht noch an den Beginn von TV total erinnern. Damals lief die Sendung nur einmal pro Woche und hatte eine Aura von Originalität und Innovation, was sich auch in guten Einschaltquoten niederschlug. Doch wie so oft hat auch hier der Erfolg dem Format mehr geschadet als genützt, denn bereits kurz nachdem man damit begonnen hatte, die Sendung viermal wöchentlich auszustrahlen, wurden erste Abnutzungserscheinungen sichtbar. Dem Moderatoren Stefan Raab schien das lange Zeit ziemlich egal zu sein, das Geld floß ja weiterhin fleißig auf sein Konto und ab und an rief er sich mit einem Chart-Hit (z. B. "Maschendrahtzaun" oder "Ö La Palöma Blanca"), einer Grand Prix-Teilnahme oder einer groß angelegten Werbekampagne ins Gedächtnis.

Doch im letzten Jahr, so scheint es, hat er nun endlich einen Weg gefunden, TV total zu sanieren. Er benutzt es als Sprungbrett für mehr oder minder sinnvolle Events. Zwar gab es schon in früheren Jahren dergleichen, wie z.B. seinen Boxkampf gegen Regina Halmich, aber die Frequenz dieser Ereignisse ist 2004 extrem gestiegen. Eigentlich begann es schon mit der sehr erfolgreichen Wok-WM im November 2003, an die sich relativ schnell die hauseigene Casting Show SSDSGPS anschloß, die den deutschen Grand Prix-Teilnehmer Max Mutzke hervorbrachte.

Es folgte die zweite Wok-Weltmeisterschaft am 4. März, ein TV total-Springreiten am 30. September, das TV total-Turmspringen am 16. Dezember und schließlich vorgestern der Bundesvision Song Contest. Was fällt auf? Richtig, die Events folgen in immer kürzeren Abständen aufeinander. Ein Trend, der sich fortzusetzen scheint, denn die dritte Wok-WM ist bereits für den 5. März 2005 angekündigt. Die reguläre TV total-Sendung selbst ist inzwischen weitestgehend zu einem Promotioninstrument mutiert, in dem exzessive Vor- und Nachberichterstattung dieser Großereignisse betrieben wird. Das mag man sehen, wie man will, sicherlich ist es besser, als noch länger als ohnehin schon von hochwertigen Sendungen wie der Burg zu berichten. Denn mit solchen Sendungen ist das deutsche Fernsehen an einem Punkt angekommen, an dem Satire keinen Sinn mehr macht. Zumindest nicht die konventionelle Satire, in der man Mißstände überspitzt darstellt, denn hier ist man bereits am oberen Ende angelangt. (Auch wenn ich ernsthaft befürchte, daß die kommenden Monate und Jahre mich hier Lügen strafen werden.)

Zurück zum Thema. Man mag der Event-Geilheit von ProSieben im allgemeinen (nach den Golden Globes, wurde gestern die Grammy-Verleihung übertragen und der Oscar folgt wiederum diesem auf dem Fuße) und der von Stefan Raab im besonderen mit gemischten Gefühlen gegenüber stehen - vielleicht ist es ganz gut, neben Wetten dass...? noch ein paar weitere Samstag-Abend-Shows heranzuzüchten -, aber speziell der Bundesvision Song Contest ist meiner Meinung nach eine sehr gute Idee - mit einem ziemlich dämlichen Namen, muß ich allerdings hinzufügen.

Gegen Ende des letzten Jahres kam in den Medien und sogar in der Politik (wo es offenbar keine dringenderen Probleme zu bereden gab) mal wieder das Thema "Deutschquote" auf. Die Grundidee hierbei war es, dem französischen Vorbild folgend, Radiostationen einen festen Anteil an deutschsprachiger Musik bzw. in Deutschland produzierter Musik vorzuschreiben. Der Bundestag hat die Radiosender zu einer Selbstverpflichtung aufgefordert, da Kultur aber (genau wie Bildung) Ländersache ist, hat dies bisher noch keine Konsequenzen gehabt. Wenn man sich ansieht, daß insbesondere abgehalfterte Altstars wie Udo Lindenberg, Konstantin Wecker oder Heinz-Rudolf Kunze sich für eine derartige Quote stark machen, sollte man schon erste Bedenken bekommen. Besonders die einzig verbliebene Musikfreundin im Musikfernsehen Sarah Kuttner hat sich damals in ihrer Sendung eifrig darüber empört. Ich bin ja prinzipiell erst mal gegen vorgeschriebene Quoten nach französischem Vorbild. Unsere Nachbarn sind ja bekanntermaßen sowieso etwas sehr eigen, was die eigene Sprache angeht. Außerdem kann man gerade in letzter Zeit einen immer größer werdenden Anteil deutschsprachiger (und erst recht in Deutschland produzierter) Musik auch in den Charts oder den Rotationen der "Musik"sender beobachten. Schauen wir uns einmal die Top 20 der Singles und der Alben in Deutschland an.

Bei den Singles finden wir fünf Titel, die zumindest teilweise auf Deutsch sind und zusätzlich einige Künstler aus Deutschland, die es vorziehen auf Englisch zu singen (z.B. Scooter). Bei den Alben sind es auf den ersten Blick sogar acht deutschsprachige Veröffentlichungen und einige haben die TOP 20 nur knapp verfehlt, Platz 22, 23 und 25 sind ebenfalls deutschsprachig. Dies sind bei den Singles etwas weniger, bei den Alben aber deutlich mehr als die von der Politik geforderten 35% deutschsprachigen Veröffentlichungen. Und zumindest bei den Singles spiegelt die Hitparade auch in etwa das wieder, was auf chartorientierten Radiosendern wie EinsLive oder bei Viva und MTV gespielt wird. Saisonbedingt (d.h. abhängig davon, welche Künstler gerade aktuelle Alben und Singles veröffentlicht haben) kann der Prozentsatz bei den Singles auch deutlich schwanken. Ende des letzten Jahres als die Diskussion gerade aktuell war, lag der Anteil deutschsprachiger Musik näher bei 50%. Den meisten, die ab und zu Radio oder Musikfernsehen konsumieren können sicherlich aus dem Stegreif eine ganze Reihe von erfolgreichen Künstlern nennen, die die deutsche Sprache benutzen, darunter so erfolgreiche Vertreter der neuen deutschen Pomusik wie Wir sind Helden oder Juli, aber natürlich auch ein große Anzahl von Hip-Hoppern wie Sido oder Eko Fresh.

Man sieht also, daß die deutsche Musik überhaupt nicht so förderbedürftig ist, wie man allerseits befürchtet. Aber zur Sicherheit kann man hier natürlich trotzdem den Nachwuchs fördern. Eine Quote ist hierfür allerdings sicher der falsche Weg. Für sehr viel geeigneter - und hier schlage ich nun endlich den Bogen - halte ich Veranstaltungen wie den Bundesvision Song Contest, der explizit deutschsprachige Lieder gefordert hat. Für einige der Beiträge wurde diese Forderung leider dahingehend aufgeweicht, daß nur 50% des Liedes auf Deutsch sein muß. Und bei den Teilnehmern Sandy und Mousse T., für die diese Einschränkung eingeführt wurde, bin ich mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt zu so einem Anteil gereicht hat. Schade ist es auch, daß die Philosophie Ein Künstler aus jedem Bundesland nicht ganz konsequent eingehalten werden konnte, so daß einige Gruppen für Nachbarländer antraten. Aber das sind Kleinigkeiten, die sich im Laufe der Jahre (so die Veranstaltung überlebt) sicher herauswaschen werden. Ich fand, daß der BSC 2005 eine gute Verwirklichung der Idee war. Besonders beeindruckend fand ich die hohe Qualität der teilnehmenden Lieder und Interpreten. Drei der Teilnehmer gefallen mir so gut, daß ich inzwischen die passende CD besitze (Samy Deluxe, Virginia Jetzt! und Clueso) und es gab nur drei Teilnehmer mit denen ich absolut gar nichts anfangen konnte (Sandy, Sido, Lukas Hilbert; die ersten beiden vor allem aufgrund persönlicher Antipathie). Der überwiegende Teil war gut bis akzeptabel, was heißt, daß ich bei diesem Lied nicht den Radiosender wechseln würde. Überraschend und lobenswert ist auch die relativ große Bandbreite der Beiträge, die neben Hip Hop und Deutsch-Pop auch eher jazzige Stücke wie Cluesos Kein Bock zu geh'n oder volksmusikartige wie De Randfichten mit Jetzt geht die Party richtig los umfaßte. Schön war auch die Veranstaltung selbst, die - ganz im Geiste einer Samstag-Abend-Show - ordentlich ihre Sendezeit überzog. Ähnlich wie im großen Vorbild, dem Eurovision Song Contest, gab es zu jedem Land einige Informationen, die im Gegensatz zu den Beiträgen, die in den Wochen zuvor bei TV total gelaufen sind, größtenteils ernst zu nehmen waren. Unangenehm aufgefallen ist allerdings Stefan Raabs Co-Moderatorin Annette Frier, die zu keiner Sekunde darüber hinwegtäuschen konnte, daß sie eigentlich überflüssig war. Ohne Einblick hinter die Kulissen zu haben, kann man zwar nicht sagen, inwieweit das ihr Verschulden war - ich vermute, so gut wie gar nicht - aber es wäre anzuraten, daß Stefan Raab eine solche Veranstaltung beim nächsten Mal besser gleich allein moderiert, anstatt sich eine Alibi-Co-Moderatorin zur Seite zu stellen.


[Kreetrapper - 14.02.2005]