Blutbad im Kopf
Die allmontägliche Kolumne für die ganze Familie

Mayday

Ein Jahr ist die bisher größte Erweiterung der Europäischen Union nun her. Zeit für eine erste Bilanz.

Schaut man in die gängigen Massenmedien stellt man schnell fest, daß die öffentliche Meinung dem Projekt EU immer mehr ins Gesicht weht. Die Gefahr kommt wieder mal aus dem Osten – diesmal sind es keine Kommunisten mehr, die unser Wohlergehen hier im Westen gefährden, sondern Arbeitskräfte und Unternehmen, die bereit sind, für einen Bruchteil der hier üblichen Tarife zu arbeiten. Also waschechte Kapitalisten. Und wir sind trotzdem nicht zufrieden. Das Problem ist ja folgendes. Der EU sind auch vor 2004 immer wieder neue Länder beigetreten und niemand hat den Untergang des Abendlandes ausgerufen. Das passiert erst heute. Das Besondere der neuesten Erweiterung ist, daß niemals zuvor derart viele Länder beigetreten sind. Und vor allem: fast alle diese Länder sind deutlich ärmer als die alten EU-Staaten. Und wer nimmt schon gern die armen Nachbarn in seinen Club auf, wenn die Regeln besagen, daß die Reichen die Armen durchfüttern müssen. Gerade jetzt, wo der neue EU-Haushalt diskutiert wird, fällt den meisten – scheinbar zum ersten mal – auf, daß Regionen wie Brandenburg oder Spanien auf einmal nicht mehr zu den ärmsten in Europa gehören.

Und wenn es um Geld geht, hört der Spaß auf.

Aus demselben Grund regt sich immer größerer Protest gegen die nächsten Erweiterungen. Denn auch hier sind praktisch nur ärmere Staaten im Visier. Und naturgemäß ist der Protest unter den Populisten am größten, allen voran wieder einmal die CDU/CSU.

Doch hier wird das Gesamtbild vernachlässigt. Mehr und mehr wird über den Beitritt eines neuen Landes zur EU nur aufgrund wirtschaftlicher Aspekte entschieden. Immer wieder ist da von den grandiosen neuen Märkten zu lesen, die uns die letzte und auch jede weitere Erweiterung bringt. Doch Leute, die so daherreden haben offensichtlich vergessen, worum es bei diesem europäischen Projekt eigentlich geht. Um das Zusammenwachsen des jahrhundertelang kriegsgebeutelten Kontinents. Und auch um Solidarität untereinander. Die Idee ist es, unseren ärmeren europäischen Brüdern die Hand zu reichen, um ihnen dabei zu helfen, sich selbst zu helfen.

Und wer ernsthaft gedacht hat, es sei möglich, Länder wie Polen oder die Slowakei im Handumdrehen wirtschaftlich auf ein westeuropäisches Niveau zu bringen, und das auch noch zum Nulltarif, der muß schon besonders naiv sein. Das angepeilte Ziel ist letztendlich (mehr oder minder) eine Nivellierung des Wohlstands zwischen allen Staaten der Europäischen Union. Und man muß noch deutlich schlechter in Wirtschaft und Mathematik sein als ich, um zu denken, daß eine solche Nivellierung nur ein Anheben der Niveaus in den ärmeren Ländern bedeutet. Die letzten Jahre dürften in Deutschland gezeigt haben, daß bei einer Umverteilung von Reich nach Arm am Ende nicht nur die Armen weniger arm sind, sondern auch die Reichen weniger reich. Das sollte eigentlich spätestens nach der Grundschule jedem klar sein.

Nur unseren Politikern mal wieder nicht. So fordern deutsche Politiker einerseits eine anhaltend hohe EU-Strukturförderung für Ostdeutschland, wollen aber andererseits gleichzeitig ihren Beitrag zum EU-Haushalt nicht erhöhen. Ja wo soll das Geld denn herkommen? Solange in Brüssel kein Gold oder Öl gefunden wird, muß das Geld, das von hier aus verteilt wird, wohl nach wie vor aus den Mitgliedsstaaten kommen.

Zur Zeit gewinnt die sogenannte neoliberale Einstellung immer mehr Befürworter. Das heißt, die Menschen sind nicht mehr bereit, etwas zu tun, wenn sie dafür keine Gegenleistung bekommen. "Leistung muß sich wieder lohnen!" Aus so einer Warte sind Erweiterungen der EU natürlich der größte Blödsinn. Zumindest volkswirtschaftlich gesehen. Die großen Firmen profitieren hingegen davon, daß sie ihre Produktionsstätten nun noch bequemer in die berüchtigten "Niedriglohnländer" verlegen können. Und wenn auf diesem Wege auch die ärmsten neuen Mitgliedstaaten irgendwann so wohlhabend geworden sind, daß die Löhne auch hier unangenehm hoch sind, steht auch schon bald die nächste Erweiterung vor der Tür und das Spiel kann von vorne beginnen.

Eigentlich müßte uns also gerade die Wirtschaft neue Erweiterungen schmackhaft zu machen versuchen. Es könnte gut sein, daß man im Falle eines deutlichen Anti-Erweiterungs-Meinungsumschwunges demnächst großangelegte Werbekampagnen der großen Firmen für die Aufnahme weiterer Staaten zu sehen bekommt.

Kurzfristig mag dies weitere Erweiterungen zwar als eine schlechte Idee erscheinen lassen, aber kurzfristiges Denken hat in der Politik nun wirklich nichts zu suchen. Langfristig sehen wir einem vereinten Europa entgegen, in dem es einheitliche Löhne und Sozialstandards gibt, einer großen Solidargemeinschaft. Das ist doch mal eine schöne Vorstellung.


[Kreetrapper - 02.05.2005]