Blutbad im Kopf
Die allmontägliche Kolumne für die ganze Familie

Öh, mein Gott!

Zur Zeit habe ich ja wieder einmal täglich eine nicht unbeträchtliche Strecke zurückzulegen, um zu meiner Wirkungsstätte zu gelangen. Da ich nach wie vor ein armer Schlucker bin, der kein Auto besitzt, bin ich zur Bewältigung dieser Strecke auf das angewiesen, was man landläufig als ÖPNV kennt, den Öffentlichen Personennahverkehr. Und da läuft ja nun wirklich so einiges schief. In seinen lesenswerten Anfangstagen hat einer meiner Vorblogger André Halama (wenn ihr denkt, daß die Updates in meinem blog zu selten kommen, solltet Ihr da mal vorbeischauen) dazu schon ein paar bissige Gedanken geäußert. Um den Autofahrern die Staus und die steigenden Benzinpreise schmackhaft zu machen, möchte ich einfach mal exemplarisch von einem Tag der ÖPNV-Benutzung berichten. Für diejenigen, die Buch führen: es handelt sich um den letzten Freitag, mit Einsprengseln von einigen anderen Tagen, um die gesamte Bandbreite des Grauens abzudecken.

Das Trauerspiel fängt bereits an, wenn ich hier in die Straßenbahn steige. Sollte ich aus Versehen in den Schulverkehr geraten, kann ich mich von dem Gedanken an einen ordentlichen Stehplatz, geschweige denn einen Sitzplatz, verabschieden. Die Dortmunder Stadtwerke, die seit neuestem unter dem seltsam-bizarren Namen DSW21 firmieren und sich immer noch nicht richtig entscheiden können, ob sie in der Werbung weiterhin auf das Pferd freundlich-deppiges Menscheln oder lieber auf glatte, kühle Zukunftsoptik setzen wollen, sind offenbar noch nicht darauf gekommen, daß zu Stoßzeiten zusätzliche Entlastungsfahrten eine gute Idee wären. Bei S-Bahnen und Regionalverkehrsmitteln der Bahn sieht das allerdings auch nicht viel besser aus. Vielleicht denkt man sich, daß man auf die Belange von Schülern und Studenten nicht so sehr Rücksicht zu nehmen braucht. Schließlich wird hier schon zu unverschämt günstigen Preisen gefahren, da darf man dann auch keine gute Leistung erwarten.

Besonders unverständlich ist mir in solchen Fällen, wo man schon über einen guten Stehplatz froh sein kann, daß in S-Bahnen und Regionalzügen weiterhin Erste-Klasse-Abteile existieren. Aber zu diesem Unding habe ich mich ja schon einmal ausführlich geäußert. Gerade in solchen Situationen könnte man das Sardinengefühl durch die Ersetzung der Erste-Klasse-Abteile durch normale Abteile deutlich mindern. Aber Kundenfreundlichkeit ist bei den Jungs vom ÖPNV eben nicht die Top-Priorität. Pünktlichkeit ist es bekanntlich auch nicht. Stellt sich die Frage, was wohl die Top-Priorität sein könnte.

Hat man doch mal das Glück einen Sitzplatz zu erwischen - falls man also außerhalb der Stoßzeiten fährt - kommt der nächste Hammer. Eine subtropische Hitzewelle schlägt einem aus dem Inneren der Straßenbahn entgegen. Offenbar erledigen die Fahrer ihre Arbeit im T-Shirt und regeln die Temperatur im Wagen entsprechend. Da ist die nächste Erkältung eigentlich schon vorprogrammiert.

Dann geht es ans Umsteigen. Ich muß leider an zwei der Hauptknotenpunkte des Dortmunder Schienennetzes umsteigen, was dieses Problem noch potenziert. Es handelt sich aber immerhin um ein Problem, für das nicht die Stadtwerke oder die Bahn verantwortlich sind. Stattdessen liegt die Schuld im häßlichen Großstädter an sich. Das Umsteigen an einem Bahnhof ist nämlich ein vorzügliches Beispiel, um eine Bestandsaufnahme zu machen, wie weit es mit Rücksichtnahme her ist. Das Ergebnis ist wenig erfreulich. Zum Beispiel ist einem viel zu großen Teil der Menschheit das simple Konzept "Erst aussteigen, dann einsteigen" scheinbar einfach nicht zu vermitteln. Immer häufiger - zumindest, wenn eine Bahn nicht völlig leer ist - fühle ich mich an die Szene in Trondheims Approximate Continuum Comics erinnert, in der er einen rücksichtlosen Drängler in Gedanken genüßlich zusammenschlägt. Mittlerweile habe ich auch oft solche Phantasien, vor allem deshalb, weil die Leute es einfach nicht lernen. Man fragt sich schon, wozu die Stadtwerke eigentlich mal wieder überall diese "Bitte nehmt Rücksicht beim Ein- und Aussteigen"-Werbung aufhängt. Hier hat man das Problem offenbar erkannt, kann aber - logischerweise - selbst keine effektiven Maßnahmen ergreifen. Immerhin hat man in Bussen das Ein- und Aussteigen schon auf verschiedene Türen verteilt. Ein kleiner Anfang.

Ein besonders krasses Beispiel dieser Problematik ist mein Erlebnis vom letzten Freitag. Auf dem Weg zur Fortbildung muß ich am Bochumer Hauptbahnhof in die U35 steigen. Diese U-Bahn fährt in Richtung Uni und kommt, glaube ich, auch noch an der ein oder anderen Schule vorbei, so daß um viertel vor acht, wenn ich dort einsteigen will, das auch noch eine Umenge anderer Leute wollen. Am Freitag hatte die Bogestra die clevere Idee, zu dieser Stoßzeit nur einen Kurzzug (ein Wagen, statt den üblichen zweien) auf den Weg zu schicken, und als die Bahn die Türen öffnete, begann ein Hauen und Stechen um die wenigen Plätze. Ein Idiot hatte die glänzende Idee, sich einfach in die Tür zu stellen, obwohl ziemlich offensichtlich war, daß die Bahn bereits voll war. Die logische Konsequenz: die Tür kann nicht geschlossen werden und die Bahn kann nicht fahren. Der ganze Spaß dauerte beinahe fünf Minuten, in denen der Bahnfahrer eine Menge nicht besonders freundlicher Worte für das Genie fand. Völlig zu recht, aber leider nutzlos, da nur Erwiderungen wie "Ich warte schon seit 7 Minuten, ich werde nicht noch länger warten!" und ähnlich geistlose Sprüche kamen. Irgendwann hatten die anderen Passagiere dann ein Einsehen und zogen alle den Bauch ein, so daß der Vollidiot doch noch hineinpaßte. Und das war auch gut so, denn ich war diesmal wirklich kurz davor, ihn mit Gewalt aus der Bahn zu zerren und auf die Schienen zu werfen. Aber das hätte die Bahn ja erst recht aufgehalten. Ich und eine Reihe anderer Leute sind dann übrigens gemütlich in die nächste Bahn eingestiegen, die inzwischen so weit aufgeholt hatte, daß sie direkt im Anschluß einfuhr.

Die allerorten zu beobachtende Rücksichtslosigkeit gehört sowieso zu den von mir meistgehassten Aspekten unserer Gesellschaft. Am Bahnhof kann man noch eine weitere Variante hiervon beobachten. Hier stößt man - oftmals wortwörtlich - immer wieder auf Individuen oder Gruppen, die es aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen für eine Superidee halten, mitten im Weg zu stehen oder - als besonders nervige Variante - mitten im Weg plötzlich stehen zu bleiben. Die Abart dieses asozialen Verhaltens, die vermutlich auch Nicht-Bahnreisende kennen, ist das Stehenbleiben am Ende einer Rolltreppe, um sich erst mal gemütlich und in aller Ruhe zu überlegen, in welche Richtung man nun weitergeht. Das sieht man nämlich auch oft in Kaufhäusern oder an anderen mit Rolltreppen ausgestatteten Orten.

Man sieht, daß bei der Benutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs, insbesondere zu den beliebten Stoßzeiten, gleich zwei unangenehme Phänomene zusammentreffen und dem arglosen Fahrgast das Leben zur Hölle machen. Die Inkompetenz der Betreiber und die Rücksichtslosigkeit der Benutzer. Eine tödliche Kombination, die das vielgescholtene Autofahren doch gleich in einem viel attraktiveren Licht erscheinen läßt.


[Kreetrapper - 24.10.2005]