Blutbad im Kopf
Die anheimelnde Kolumne für die ganze Familie

Medieneinzelhandel - Im Kampf gegen die elektronische Bedrohung

Seit einigen Jahren steht der traditionelle Buchhandel1 dem Aufschwung des Internet oder besser E-Commerce gegenüber. Inzwischen haben auch viele weniger technisch versierte Bürger entdeckt, wie einfach man Bücher im Internet bestellen kann und machen ausgiebig Gebrauch davon. Ist das Ende des klassischen stationären Buchhandels also nur noch eine Frage der Zeit?
Nicht zwangsläufig, meine ich. Eine klassische Buchhandlung hat eine Reihe von potentiellen Vorteilen, mit denen sie den größten Vorteil von amazon & Co - das Bedienen der Bequemlichkeit - ausgleichen kann. Das Schlüsselwort in diesem Satz ist allerdings "potentiell".

Aus jahrelanger Erfahrung mit dem Bücherkauf sowohl im Internet - nicht nur bei amazon, sondern teilweise auch direkt von der Webseite des Autoren - als auch im freundlichen Buchgeschäft nebenan und in der gesichtslosen Großbuchhandlung haben sich für mich die folgenden Vorteile des stationären Buchhandels gegenüber dem Versandhandel ergeben. Für Buchhandlungen gelten diese Vorteile im Gegensatz zu Geschäften mit DVDs oder Musik-CDs noch stärker, weil man sich hier dank Buchpreisbindung keine Sorgen machen muß, vom deutlich günstiger wirtschaftenden Versandhandel preislich unterboten zu werden. Also die fünf offensichtlichsten Vorteile sind:

1) Stöbern

Jeder passionierte Leser (oder Cineast, wenn es um DVDs geht) kennt vermutlich das Gefühl, daß er Lust auf ein neues Buch hat, aber noch nicht genau weiß, welches es sein soll. Vielleicht hat man eine grobe Idee (irgendein Krimi), vielleicht noch nicht einmal das. Das Naheliegendste ist nun in eine einigermaßen große Buchhandlung zu gehen und dort einfach ein wenig herumzustöbern. Oft stolpert man dabei gleich über eine ganze Reihe interessanter Bücher, deren Kauf sich lohnen würde - zumindest mir geht es sehr häufig so. Und dieses Herumstöbern geht auf einer Internetseite einfach nicht so gut. Jedenfalls geht es mir so. Wenn ich einmal die Stöbern-Funktion bei amazon ausprobiere, verliere ich meist sehr schnell das Interesse und wende mich lieber anderen Dingen zu. Für mich gehört der haptische und der direkte visuelle Reiz einfach zum Stöbern dazu. Und ich denke, daß es da vielen so geht wie mir. Ich muß dabei auch die Möglichkeit haben, ein Buch in Hand zu nehmen oder auch gleich mit einem Blick zu sehen, wie dick oder dünn ein Buch ist - Seitenzahlen sind da doch irgendwie abstrakter.

2) Instant Gratification (dem deutschen "Sofortbefriedigung" kann ich irgendwie die sexuellen Untertöne nicht austreiben)

Manchmal will man ein Buch unbedingt sofort haben. Nehmen wir zum Beispiel an, jemand hat die letzten paar Jahre im Koma gelegen und nach dem Aufwachen den ersten Harry-Potter-Band geschenkt bekommen. Wenn der nun ausgelesen ist, möchte man vielleicht sofort mit dem nächsten weitermachen und nicht erst einen ganzen Tag warten, bis ein Versandhändler das Buch geliefert hat. Dieser Punkt wird jetzt möglicherweise noch mächtiger, weil die Geschäfte in vielen Bundesländern jetzt (oder bald) sehr viel mehr Möglichkeiten haben, was ihre Öffnungszeiten angeht.

Diese ersten beiden Punkte sind quasi Gratisvorteile des stationären Buchhandels. Das heißt, diese Vorteile hat er auf jeden Fall und es ist prinzipiell egal, welche Entscheidungen das Management trifft. Dies ist bei den folgenden beiden Punkten anders.

3) Probelesen (in angenehmer Atmosphäre)

Es gibt durchaus Leute, die erst einmal in ein Buch hineinlesen möchten, bevor sie sich dafür entscheiden es zu kaufen. Zu dieser Gruppe gehöre ich nicht und kann deswegen nicht aus eigener Erfahrung berichten, aber es ist offensichtlich, daß das Aufkommen von gemütlichen Leseecken und teilweise sogar Cafés in den größeren Buchhandlungen diesem Wunsch der Kundschaft geschuldet ist.

4) Kompetente und freundliche Beratung

Das ist, finde ich, ein Knackpunkt. Denn verglichen mit den anderen drei Punkten muß die Buchhandlung sich hier aktiv Mühe geben, indem kompetente und vor allem leseerfahrene Mitarbeiter eingestellt oder ausgebildet werden. Kompetente Beratung scheint ja heutzutage leider in fast allen Bereichen aus der Mode gekommen zu sein, deshalb lege ich die Meßlatte hier gar nicht so hoch an. Ich erwarte allerdings, daß ein Buchhändler mindestens in der Lage sein sollte, mich so weit zu informieren, wie ich das mit ein paar Minuten Googeln selbst hinbekomme. Und eine ordentliche Buchhandlung sollte, so finde ich, auch in der Lage sein, mir jedes Buch zu besorgen, das ich bei amazon bestellen kann. Im Notfall (und ich kann mir kaum vorstellen, warum der eintreten sollte) sollte der Buchhändler das Buch dann eben selbst bei amazon bestellen und mir weiterverkaufen, um mich an sein Geschäft zu binden. Mir ist es leider schon viel zu oft passiert, daß man mich ohne Buch wieder nach Hause geschickt hat. Daß ich dann beim nächsten mal vielleicht gleich zum Versandhändler gehe (wo ich auch schon so obskure Bücher wie dieses bekommen habe, ist dann ja eigentlich klar.

Wie man sieht, gibt es eine Reihe von Vorteilen, die stationäre Buchhandlungen dem klassischen "Bequem vom Sessel aus Bestellen" des Versandhandels entgegenzusetzen haben. Zwei davon bekommen sie sogar geschenkt. Den dritten Punkt hat man auch schon in den meisten größeren Buchgeschäften umgesetzt. Jetzt muß man sich nur noch mit dem letzten Punkt mal etwas mehr Mühe geben. Ich gäbe zum Beispiel - um mal kurz vom Buch zur DVD zu wechseln - viel für ein Geschäft, in dem man mich kompetent zum Thema Fernsehserien auf DVD beraten könnte. So weiß ich bis heute nicht schlüssig, ob es die Danger-Mouse-DVD tatsächlich nur mit einer Tonspur gibt, wie es den Anschein hat. Und auf Verdacht werde ich die bestimmt nicht einfach bestellen.



1: Alles, was ich hier sage trifft in weiten Teilen genauso auf andere Medien wie Filme oder TV-Serien auf DVD, Computerspiele oder Musik-CDs zu. Der Einfachheit halber schreibe ich aber immer nur Buch bzw. Buchhandel.


[Kreetrapper - 22.11.2006]