Bergen - just outside of Europe

Sonntag, 25.04.

04:10. Martin kommt zu spät. Noch denke ich mir nichts dabei. Doch später soll dies bedeutungsvoll werden.

06:30. Ab Bremen ist ganz Deutschland von Bodennebel bedeckt. Trotz einsetzendem Sonnenaufgang wird die Sicht zusehends (Hahaha) schlechter.

09:45 - 10:00. In Kolding läßt unser Routenplan uns das erste Mal im Stich. Nachdem er bisher jede noch so kleine Abzweigung erwähnt hat (zuweilen auch nur, um das Abbiegen an dieser zu verbieten) und immer hundertprozentig richtig lag, kommt jetzt die erste Schwäche. Nachdem wir eine halbe Stunde in Richtung Esbjerg gefahren sind, stellen wir mit Hilfe des Straßenatlas fest, daß wir doch besser weiter geradeaus gefahren wären. Wieder zurück an besagtem Autobahnkreuz stellen wir fest, daß der Routenplan auch hier recht hatte und sich nur etwas ungeschickt ausgedrückt hat.

12:10. Wir verlassen die Autobahn. Der Routenplan behauptet, daß wir frühestens um 14.30 Uhr am Hafen sein werden (Unser Schiff legt um 14:00 Uhr ab!). Martin weckt den Rennfahrer in sich und unterbietet diese Zeit locker. Die Schilder auf den dänischen Landstraßen weisen eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h aus. Wir fahren weit über hundert, werden aber immer wieder von Einheimischen überholt, denen wir offenbar zu langsam sind.

13:27. Wir erreichen unsere Fähre und werden mit dem Satz "If I was you I would hurry up." begrüßt. Das einchecken geht aber ohne Probleme vonstatten und, wie wir auf dem Rückweg (als wir zeitiger am Schiff sind) merken werden, sparen wir uns dadurch sowohl beim Hinein- wie auch beim Herausfahren längliche Wartezeiten.

16:00. Wir haben alle Decks ausgiebig besichtigt. Fazit: Auf dem Schiff ist es langweilig und teuer. Wir gehen schlafen.


Montag, 26.04.

02:00. Die Fähre macht einen Zwischenstop in Haugesund. Unser Kabinenmitbewohner betritt die Kabine zu seiner dritten Stippvisite seit der Abfahrt. Diesmal versucht er nur kurz uns in ein Gespräch zu verwickeln, bevor er merkt, daß wir zu müde sind, um seine exzessiven Alkoholeinkäufe ("Ach dafür waren die ganzen leeren Taschen") zu kommentieren.

02:20. Ein Steward betritt eilig die Kabine und fragt, ob wir wirklich nicht in Haugesund aussteigen wollen. Noch hätten wir die Möglichkeit. Wir weisen höflich darauf hin, daß wir nach Bergen wollen ("Fuck off! We're trying to sleep!") und wir generell erwachsen genug sind, um das Aussteigen auch ohne fremde Hilfe geregelt zu bekommen.

07:00. Die Fähre legt überraschend pünktlich in Bergen an. Damit konnte nun wirklich niemand rechnen. Zumindest behauptet das Nina, die erst um viertel nach erscheint, um uns abzuholen und uns den Weg nach Fantoft (norwegisch für: Da wo die Studenten hausen) zu zeigen.

08:00. Wir vertrödeln die Zeit bis wir endlich einkaufen gehen können. Offenbar sind die norwegischen Ladenöffnungszeiten nicht so kosmopolit wie gedacht.

10:00. Wir machen uns auf zu Rema 1000 um unseren ersten norwegischen Einkauf zu zelebrieren. Die Preise sind tatsächlich noch mal ein ganzes Stück höher als auf dem Schiff, so daß wir hier bereits einen nicht unerheblichen Teil unseres Reisegeldes zurücklassen.

12:00. Nach einem erfolgreichen Einkauf wollen wir1) uns die erste Sehenswürdigkeit anschauen - die Stabkirche. Diese Kirche ist durchaus sehenswert und sieht genauso aus, wie man sich eine Kirche im Land der Wikinger vorstellt. Leider ist sie nur während der Touristensaison zugänglich und als wir ankommen werden wir von einem häßlichen Maschendrahtzaun begrüßt. Dies ist das erste, aber sicherlich nicht das letzte Mal, daß sich ein Gefühl der Off-Season-ness bei uns einstellt.

14:00. Nina zeigt uns Gamle Bergen. Eine Art Freilichtmuseum, in dem einige Häuser aufgebaut wurden, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert ausgesehen haben. Das Bild auf der Webseite ist vermutlich aus dem Hochsommer. Wir begegnen jedenfalls nur einigen vereinzelten Besuchern. Und Führungen gibt es natürlich auch nur während der Saison. Dafür haben wir das erste Mal eine Busfahrkarte für stolze 23 Kronen kaufen dürfen. Etwas, das wir noch häufiger tun werden müssen. Zur Orientierung: Ein Euro entspricht etwa 8 Kronen. Schließlich schauen wir uns noch das Hafenviertel Bryggen an. Dieses ist ein Überbleibsel aus den Zeiten der Hanse und unvernünftigerweise nicht nur völlig aus Holz, sondern auch noch furchtbar dicht aneinander gebaut. Zu Zeiten der Hanse war hier offenes Feuer und damit letztlich auch Licht oder warmes Essen strikt verboten. Als mit den deutschen Händlern auch dieses Verbot verschwand, brannte das ganze Viertel erst einmal bis auf die Grundmauern nieder, wurde aber sogleich wieder an Ort und Stelle aufgebaut. Leider können wir uns nicht viel Zeit zum sight seeing lassen, da Nina uns mit einem Wahnsinnstempo antreibt - sie muß noch zur Uni, bevor diese schließt. Die Bergener Uni wirkt auf den ersten Blick zwar deutlich kleiner als die Ruhr-Uni aber nicht sehr viel schöner. Immerhin haben sie aber einen hochmodernen Computerraum, den man nur mit einer Magnetkarte betreten kann. Das Hochmoderne erstreckt sich aber leider nicht auf die Software, die sich auf häßliche Microsoft-Produkte zu beschränken scheint.

Abends. Wir haben erst mal genug gesehen und beschließen, den Abend daheim zu verbringen.


Dienstag, 27.04.

10:00. Wir haben uns viel vorgenommen und stehen daher einigermaßen früh auf. Nina hat uns angewiesen, bis zu unserer Abreise am Donnerstag alle Lebensmittel, die wir finden können, zu vernichten. Später wird sie bestreiten, jemals eine solche Aussage gemacht zu haben.

12:00. Unsere erste Station ist das Hanseatische Museum. Zum fairen Studententarif von 25 Kronen läßt man uns ein, nur wenig mehr als wir mal wieder für eine Busfahrt von Fantoft in die Innenstadt bezahlt haben. Eigentlich kämen wir mit der Eintrittskarte auch noch in die Schüttinge, wenn sie nicht ausgerechnet an diesem Tag geschlossen wäre. Der Off-Season-Fluch mal wieder. Stattdessen eilen wir zum Naturhistorischen Museum, das um 14 Uhr seine Pforten schließen wird.

13:30. Unser auf dem Weg zur Fähre erprobter Leitspruch "Halbe Stunde vorher reicht" paßt auch beim Naturkundemuseum wie die Faust auf's Auge. Ein Stockwerk erweist sich als gesperrt und da ein Großteil der Texte auf norwegisch verfaßt ist, schaffen wir es locker, uns gemütlich alles anzusehen. Sehr positiv ist anzumerken, daß Studenten hier freien Eintritt haben. Als wir nach Verlassen des Museums beginnen durch den angeschlossenen Park zu schlendern, fängt es prompt zu regnen an. Na toll! Wir gehen also zurück in die Innenstadt, schlendern noch kurz durch ein Einkaufszentrum und begeben uns dann zeitig zum 15-Uhr-Treffen mit Nina, die noch einige Sachen an der Uni erledigen mußte.

15:20. Nina erscheint zu unserem 15-Uhr-Treffen. Wir suchen eine Eßgelegenheit und finden schließlich einen Burger King, wo ich den teuersten Whopper meines Lebens zu mir nehme: 54 Kronen (für diejenigen, die vorhin nicht aufgepaßt haben oder schwach im Kopfrechnen sind: Das sind fast 7 Euro). Anschließend kehren wir aufgefüllt und ausgenommen nach Fantoft zurück. Und wieder 23 Kronen für den Bus.

18:00. Wir sind gespannt, stehen wir doch kurz davor unsere erste echte Norwegerin kennenzulernen. Hanne, eine Mitstudentin Ninas, wohnt der Autofahrt (Hurra! 23 Kronen gespart!) nach zu urteilen hinter den sieben Bergen. Allerdings treffen wir sie allein, das heißt ohne jegliche Zwerge an. Nur ein freundlicher, großer Vogel scheint mit ihr zusammen in der riesigen Wohnung zu leben. Hanne ist unwahrscheinlich nett und bietet uns verschiedentliche Getränke und selbstgemachtes Gebäck an. Diese beispiellose Gastfreundschaft ist ein angenehmer Ausgleich zu den raubritterhaften Preisen allerorten und Norwegen wird mir gleich viel sympathischer. Hanne spricht erstaunlich flüssiges Deutsch, was daher rührt, daß sie diese Sprache nicht nur studiert, sondern auch bereits längere Zeit in deutschsprachigen Ländern verbracht hat, und ist nicht nur gastfreundlich, sondern auch ein überaus freundlicher und sympathischer Mensch. Die Zeiten der Wikinger scheinen schon lange vorbei zu sein. Leider können wir nur kurz bleiben, da Nina auf ihrer Abschiedstour noch mehr Freunde abklappern muß.

22:00. Wir sind zurück in Fantoft. Die nächste Reise führt uns nur bis ins nächste Gebäude, welches Nina bei ihrem letzten Aufenthalt bewohnt hat und wo immer noch viele ihrer ehemaligen Mitbewohner leben. Diese scheinen überwiegend Spanier zu sein, obwohl wir auch einen Franzosen und eine weitere Norwegerin ausmachen können. Verkehrssprache ist daher Englisch. Leider gibt es hier keine so großzügige Bewirtung - das studentische Budget scheint sich bemerkbar zu machen. Enttäuscht und weil wir sowieso müde sind, bleiben wir hier nicht besonders lange und gehen bald schlafen.


Mittwoch, 28.04.

12:00. Unser letzter kompletter Tag in Bergen begrüßt uns mit strömendem Regen. Dadurch kann man jetzt aber den Fløyen, der bisher immer nur postuliert wurde, zum ersten Mal tatsächlich aus Ninas Fenster sehen. Besagte Nina ist schon wieder auf dem Weg, um irgendwelche wichtigen Erledigungen zu machen. Dem schlechten Wetter zum Trotze machen wir uns auf nach Troldhaugen, dem "home of Edvard Grieg". Für sehr faire 20 Kronen kann man hier neben einem Grieg-Museum (wo es übrigens auch jede Menge coole Fan-Artikel zu kaufen gibt) auch das Originalhaus von Grieg, seine nur wenige Meter vom Meer entfernte Komponistenhütte und - vielleicht etwas makaber - sein Grab sehen. Bei schönem Wetter wären wir sicherlich noch etwas hier lustgewandelt, doch die sintflutartigen Niederschläge zwingen uns zurück ins Auto. Auf dem Rückweg tanken wir und sind überrascht, daß das Benzin hier mit knapp 10 Kronen pro Liter nur unwesentlich teurer ist als in Deutschland. Trotzdem lassen wir mehr als die Hälfte unseres restlichen Geldes hier.

19:00. Nina muß eine weitere Abschiedsfeierlichkeit absolvieren, zu der wir diesmal gar nicht erst eingeladen sind. Wir sagen "na und" und gehen eine Pizza essen. Peppes Pizza scheint in Norwegen eine große Kette zu sein. Die Pizzen sind angenehm groß, ja geradezu amerikanisch. Die Preise sind allerdings nach wie vor norwegisch. Wir kratzen unsere letzten Kronen zusammen und leisten uns zu zweit eine Pizza für 204 Kronen (etwa 25 Euro), die dafür aber wenigstens sehr lecker ist. Gottseidank sind wir mit dem Auto hierher gefahren, denn die Hin- und Rückfahrt mit dem Bus hätte uns ja wieder 92 Kronen gekostet.


Donnerstag, 29.04.

09:00. Heute, am Abreisetag müssen wir etwas früher aufstehen, da Nina das Zimmer bis um 12 restlos geräumt haben muß. Nach dem Frühstück packen wir schon mal das meiste zusammen und schleppen es ins Auto.

11:00. Nina selbst, die nach ihrer letzten Feierlichkeit auswärts übernachtete, kehrt zurück und verbreitet erst mal gepflegte Panik. Schließlich kriegen wir das Zimmer aber abgabefertig und Martin schafft es durch patentierte Technik (Motto: Wenn es mit roher Gewalt nicht klappt, hast du zu wenig davon verwendet.) all unser Gepäck in seinem Kleinwagen zu verstauen.

12:00. Nina liefert uns bei ihrer Freundin Ulrike ab, damit die Vermieterin bei der Schlüsselrückgabe nicht den falschen Eindruck bekommt. Ulrike ist sehr nett, allerdings keine Norwegerin. Sie kommt vielmehr aus Regensburg und - Oh, Wunder - studiert Computerlinguistik. Eine rege Unterhaltung beginnt, von der Martin und ein ebenfalls anwesender Schwabe, dessen Namen ich zu meiner Schande vergessen habe, leider ausgeschlossen bleiben. Als Dank für ihre Gastfreundschaft, erklären wir uns bereit einige ihrer Bücher mit nach Deutschland zu nehmen, die Martin in bewährter Manier im Kofferraum verstaut. Als ich Computerlinguistik und Sprachtechnologie darunter entdecke, gebe ich damit an, daß ich den Ralf persönlich kenne und mich sogar von ihm prüfen lassen werde. Ulrike scheint allerdings nicht sonderlich beeindruckt.

13:00. Da Ulrike zu einem Seminar muß und Nina noch nicht zurück ist, vertreiben wir uns die Zeit mit einem kleinen Spaziergang in der Umgebung. Wir ziehen das Fazit, daß die Umgebung nicht besonders interessant ist.

15:00. Wir brechen Richtung Hafen auf. Das Schiff soll um 17 Uhr ablegen und die Fahrt zum Hafen dauert eigentlich nur eine knappe Viertelstunde. Doch dabei haben wir nicht bedacht, daß es in der Umgebung von Einbahnstraßen und anderen Gemeinheiten nur so wimmelt. Nina versichert uns mehrfach, sie wisse den Weg, und in der Tat, nachdem wir noch in einen Stau geraten sind, erreichen wir gegen 16:10 Uhr den Hafen. Viel zu früh, wie sich herausstellt, denn die Schlange an Autos vor uns ist enorm.

17:00. Endlich sind auch wir auf dem Schiff. Nachdem auch der Weg vom Parkdeck herunter gemeistert ist, beginnen wir uns um die nächste Mahlzeit zu sorgen. Wir schmeißen all unser restliches Geld zusammen und gehen in den Duty-Free-Shop, nur um festzustellen, daß es hier eigentlich nur Süßigkeiten zu kaufen gibt. Unser Abendessen besteht daher aus Schokolade und einigen Chips. Diesmal haben wir die Kabine ganz für uns allein. Da auf norwegischen Fähren Zucht und Ordnung herrschen, muß Nina in einer anderen Kabine nächtigen.


Freitag, 30.04.

10:00. Wir frühstücken rasch einige Vitaminkekse, die noch von der Anreise übriggeblieben waren, und machen uns dann bereit das Schiff zu verlassen.

11:00. Nach langem Warten, haben wir endlich wieder europäischen Unionsboden unter den Füßen. Diesmal verfahren wir uns nicht und passen uns zudem dem Tempo der Dänen an. Alle wollen endlich nach Hause.

14:15. Wir sind wieder zurück in Deutschland. Am nächstbesten Parkplatz feiern wir dies mit einem nahrhaften Mittagessen aus Chips und Apfelsaft. Mjam.

16:00. Wir bemerken, daß heute ein Werktag ist. Um Hamburg herum wird der Verkehr zusehends dichter, wobei "zusehends" hier leider nicht auf alle zutrifft, denn wir werden in einen Auffahrunfall verwickelt. Glücklicherweise kommt quasi sofort zufällig ein Rettungswagen vorbei, der uns hilft die Unfallstelle zu sichern und die Polizei benachrichtigt. Aus dem Wagen hinter uns (der aber nicht der Verursacher war. Insgesamt waren 4 Autos in den Unfall verwickelt) steigt inzwischen ein ziemlich schnuckeliges Mädchen, das ich mich in dieser Situation nicht anzusprechen traue. Als die Polizei schließlich kommt, werden Versicherungs- und Kontaktdaten ausgetauscht und den Rest der Rückfahrt (die Polizei ließ uns fahren, da kein sichtbarer Schaden am Auto war) überlege ich, ob ich Martin um ihre Telefonnummer bitten soll. Eine ziemlich interessante Gesprächseröffnung a la "Entschuldige, wir hatten gestern einen Unfall.", die jedes "Kennen wir uns nicht von irgendwoher?" um Längen schlägt, schwebt mir vor, aber schließlich verwerfe ich die Idee.

21:15. Nach einem Stau im Elbtunnel und einem in Bremen erreichen wir endlich das heimische Dortmund. Martin spielt zum Abschied "The Boys Are Back in Town" und setzt mich zuerst ab. Voller Vorfreude auf die lange Nacht der Osterweiterung hole ich mir erst mal etwas zu essen und beginne mich zu entspannen. Endlich daheim.



1)"wir" bezieht sich ab diesem Punkt als default lediglich auf Martin und mich, solange der Kontext nichts anderes nahelegt.


[Kreetrapper - 09.05.2004]