Ist das noch ein Krimi?




Autor: Håkan Nesser
Übersetzung: (aus dem Schwedischen) Gabriele Haefs
Titel: Der unglückliche Mörder
Originaltitel: Carambole
Verlag: btb (Goldmann)
Erscheinungsjahr: 2001 (1999 in Schweden)
Umfang: 320 Seiten
Preis: € 9,-




"Der Junge, der bald sterben würde, lachte und befreite sich aus der Umarmung." So lautet der erste Satz dieses Romans. Und er charakterisiert das folgende eigentlich sehr treffend, denn in genau diesem Stil ist der ganze Roman geschrieben. Ich muß zugeben, daß das Skandinavische-Krimis-Fieber der letzten Jahre an mir vorbeigegangen ist. Ich habe Mankells "Mörder ohne Gesicht" gelesen und war maßlos enttäuscht. Nun, inzwischen sind einige Jahre ins Land gezogen und ich werde auch dem vielgelobten Mankell noch eine zweite Chance geben, meinen Bücherschrank zu erobern, aber vorher hat es sich ergeben, daß ich mich mit Håkan Nesser befasse.

Wie auch schon damals bei Mankell stört mich vor allem das, was allerorten als die große Stärke der skandinavischen Krimis gepriesen wird: die stark gewichtete emotionale Komponente gepaart mit einer realistischen Darstellung. Wahrscheinlich muß ich mir einfach eingestehen, daß diese Art von Roman nichts für mich ist.

Doch zurück zum unglücklichen Mörder. Wieder einmal ein Glanzstück der Titelübersetzung (ich spreche zwar kein Schwedisch, vermute aber stark, daß Karambolage oder Zusammenstoß eine passendere Übersetzung gewesen wäre), aber damit hat man sich als Deutscher wohl abzufinden.

Wie auch immer, zu allererst muß ich Leute, die Krimis wie ich der Spannung wegen lesen und nicht um soziale Dramen zu beobachten, davor warnen den Klappentext zu lesen. Eher zufällig habe ich es erst getan als ich das Buch durchgelesen hatte und mußte feststellen, daß hier eigentlich alle wichtigen Handlungselemente auf schamloseste Weise vorweg genommen werden. Der letzte Satz des Klappentextes endet auf den berühmten drei Punkten und klingt nach "und dann geht die eigentliche Handlung los". Allerdings passiert das zuletzt beschriebene Ereignis erst ungefähr auf Seite 230 und erst ein paar Seiten vor dem Ende wird klar, was tatsächlich geschehen ist. Diese Dreistigkeit erschreckt mich schon, allerdings kann sie auch als Indiz dafür dienen, welchen geringen Stellenwert die Handlung in diesem Roman einnimmt.

Trotzdem auch dazu ein paar Worte. Das ganze beginnt damit, daß ein Teenager von einem betrunkenen Autofahrer angefahren wird. Dieser begeht Fahrerflucht und von da an gerät die Geschichte langsam aber sicher ins Rollen, denn die Konseuqenzen dieser Tat beginnen dem Mörder langsam aber sicher über den Kopf zu wachsen und der Leser ist eingeladen ihm dabei zuzusehen. Nachdem die Polizei zu ermitteln beginnt, ist die Spotlight-Time für Mörder und Ermittler in etwa gleich bemessen und ich muß zugeben, daß für mich deshalb nur eine Hälfte des Buchs wirklich interessant und lesenswert war. Die Aufklärung des Falls gelingt der Polizei durch harte und langwierige Ermittlungen und nicht durch einen dummen Zufall wie im schon erwähnten "Mörder ohne Gesicht". Diese Tatsache läßt mich diesen Roman nicht derart hassen wie das mit Mankells Buch der Fall war. Allerdings ist nach der Lektüre klar, daß dies nicht meine Art von Krimi ist. Es wird sehr viel mehr Wert auf die intensive Charakterzeichnung gelegt als auf eine spannende, mitreißende Handlung.

Für Leser, die Interesse an psychologisch-sozialen Charakterstudien haben ist dieser Roman bedingungslos zu empfehlen. Er ist flüssig geschrieben und alle Figuren sind glaubhaft und klischeefrei, was sehr angenehm ist. Die Handlung ist konsequent und realitätsnah, aber leider nicht besonders spannend oder zum Mitdenken animierend. Aber das will Nesser auch gar nicht erreichen, sondern er beschränkt sich auf seine Figuren.

Fazit: Detaillierte Charakterstudien garniert mit kleinen Plot-Häppchen.


[Kreetrapper - 14.09.2003]