Blutbad im Kopf
Die allmontägliche Kolumne für die ganze Familie

Päpstlicher als der Papst

Rom. 2. April 2005. Ein 84jähriger Pole stirbt nach langer Krankheit. Welche Reaktion erwarten Sie?

Erst einmal gar keine vermutlich, denn einzelne Menschen zählen ja in dieser globalisierten Welt nichts mehr. Wenn es sich um jemanden handelt, der besonders verdienstvoll war, verliert vielleicht der italienische Dikta... äh Präsident ein paar freundliche Worte. Möglicherweise gibt es in den nächsten Tagen oder Wochen eine wohlfeile Dokumentation auf 3sat oder Phoenix und das war es dann.

So ähnlich wäre es vermutlich gelaufen, wenn es sich um einen normalen Menschen gehandelt hätte. Der Catch ist nun aber, daß eine Milliarde Menschen auf der Welt dem festen Glauben verfallen sind, daß es sich bei dieser (durch irgendwelche obskuren Machtspiele ins Amt gehobenen) Person um den second-in-command Gottes handelt. Das mediale Ergebnis war erschreckend massiv und allumfassend.

Begonnen hat man mit einer Rund-um-die-Uhr-Berichterstattung, die ich seit "den Anschlägen" nicht erlebt habe, übrigens bereits einen Tag vor dem tatsächlichen Eintritt des Todes. Selbiger hat sich glücklicherweise durch ein Koma und diverse Organausfälle langsam angekündigt, so daß schon früh eine sinnvolle Berichterstattung möglich war.

Am 1. April war also bereits mehr als die Hälfte der Tagesschau diesem Thema gewidmet und die ARD hat sich nicht lumpen lassen und direkt im Anschluß einen Brennpunkt und etwas später ein Tagesthemen extra gesendet. Gleichzeitig haben nahezu alle öffentlich-rechtlichen Sender (und seltsamerweise Sat1) ihr geplantes Programm umgeschmissen um "live vom Petersdom" zu berichten. Dieser Artikel aus der Frankfurter Rundschau macht einigermaßen anschaulich klar, warum das eine schlechte Idee ist (auch wenn er das Ziel trotzdem verfehlt und die Idee von Phoenix, die Totenglocken stundenlang live zu zeigen, für einen Geniestreich hält). Die Medienvertreter erinnern dadurch stark an Aasgeier, die gierig auf das Dahinscheiden ihres Opfers lauern. Immer auf der Jagd nach dem Exklusivbericht oder wenigstens im verzweifelten Versuch die ersten zu sein.

Das ganze zog sich bis zum Tod des Papstes am folgenden Tag hin und man kann eigentlich nur froh sein, daß der Todeskampf sich nicht noch länger hingezogen hat. Eine mediale Papstwoche wäre uns vermutlich sicher gewesen. (Wobei es momentan so aussieht, als würden wir nichtsdestotrotz eine solche bekommen) Und was wäre wohl geschehen, wenn der gute Karol sich erholt hätte. Vermutlich wäre uns dann versichert worden, daß es sich um ein Wunder handelte, zumindest von den Vorzeigejournalisten der BILD-Zeitung.

Ungefähr so entwickelte sich das ganze dann am Samstag: Um halb zehn wurde der Tod des Papstes offiziell verkündet und Sat1 hat scheinbar (ich habe das (leider?) nicht live verfolgt) sofort sein aktuelles Programm für eine Sondersendung unterbrochen. Knapp zwei Stunden später, gegen Mitternacht, war kein öffentlich-rechtlicher Sender frei von einer Sondersendung, die auf irgendeine Art und Weise das Leben von Karol Józef Wojtyła Revue passieren und dabei natürlich Myriaden von Experten zu Wort kommen läßt. Diesmal kann man den Zusatz "selbsternannt" nur bedingt hinzufügen, da ja irgendwie alle Theologen, Bischöfe und ähnliche Gestalten Experten sind. Und auch unser aller Lieblingsdemokratiefeind Georgie-Boy hat ein paar salbungsvolle Worte zum besten zu geben. Ich konnte mir diese Rede an die Nation nicht antun, vermute und befürchte aber, daß hier Beziehungen hergestellt wurden, die in der Realität so nicht existierten. Zugegeben, die Gemeinsamkeiten sind zuerst einmal ziemlich augenfällig. Beide Männer sind überzeugt davon, Gottes Vertreter auf Erden zu sein, und beide sind sich in vielen Fragen einig, zum Beispiel darin, daß Homosexualität eine Sünde ist, oder daß Evolution nur eine Theorie unter vielen ist, aber es war zum Beispiel nur einer der beiden gegen den Irak-Krieg. Vermutlich weil er sich an das 5. Gebot erinnert hat.

Auch in der vielbeschworenen Gegenkultur des Internet gab es ähnliche Auswüchse. Besonders augenfällig war für mich, daß der italienische Ableger der Wikinews seine Hauptseite für kurze Zeit direkt auf ein Papstspecial umgelenkt hat. Etwas, das meines Wissens nicht einmal zu Flutzeiten geschehen ist.

Ob all dieses den Wahnsinn schon längst hinter sich gelassen habenden Medienspektakels drängt sich mir nach wie vor die Frage auf: warum? Mal ehrlich, was macht den Papst so besonders, daß man sich stunden-, tage-, und wenn wir ganz viel Pech haben sogar wochen- und monatelang mit seinem Tod beschäftigt. Er mag ja für einen Papst recht fortschrittlich und weltoffen gewesen sein, doch das reicht nun mal noch lange nicht aus, um über ihn zu sagen, daß er ein guter Mensch war. Viele AIDS-Tote würden mir hier vermutlich zustimmen, wenn sie könnten. Die katholische Kirche ist in vielen Belangen immer noch im tiefsten Mittelalter verhaftet. Mich persönlich stört schon die de-fakto-Mitgliedschaft des Vatikans in der EU (er ist zwar kein offizielles Mitglied, druckt aber immerhin eigene Euro-Münzen). Schließlich erfüllt ein derartiger Gottesstaat bei weitem nicht die Beitrittsvoraussetzungen, ein Umstand über den sich bei der Türkei sehr viel mehr Leute aufregen, obwohl es dort beileibe nicht so extrem sein kann.

Und auch sonst muß man sich über diesen Trubel aufregen. Und zwar aus demselben Grund, wie beim Mainzbesuch des US-Präsidenten. Es torpediert nämlich auf haarsträubende Weise die Grundannahme, daß alle Menschen gleich sind. Und versuchen nicht gerade die christliche Glaubensgemeinschaft und die "erste und beste Demokratie der Welt" uns diese Grundannahme zu verkaufen? Gut, sie sind etwas freizügig bei der Definition von "Mensch", Terrorristen (auch potentielle) zählen beispielsweise nicht zu dieser Gruppe. Aber mit solchen Aktionen verliert die Verbreitung einer solchen These auch noch den letzten Rest an Glaubwürdigkeit. Wenn der Tod eines einzelnen, zudem sehr alten und schwer kranken, Mannes solche Wellen in allen Medien schlägt und man gleichzeitig eine Berichterstattung über die Tausenden Bürgerkriegstoten in Afrika mit der Lupe suchen muß, läuft doch offensichtlich etwas gewaltig schief.


[Kreetrapper - 04.04.2005]