Das Walroß bist Du
Ein Kriminalroman von Helmut König
Kapitel 20
Kapitel 20: Abbey Road
Rollo lauerte in seinem Versteck unter dem Holunderbusch. Die Augen waren fest auf das Tor gerichtet. Von dort mußte er kommen. Noch war nichts zu sehen, auch Rollos Nase hatte noch keine fremde Witterung erfaßt. Aber er spürte es in allen Fasern seines kleinen, drahtigen Körpers: Gleich würde er erscheinen! Der Schwarz-Gelbe mit den vielen Gerüchen.
Er kam fast jeden Tag zur selben Zeit. Doch nie war es Rollo bisher gelungen, ihn zu erwischen. Er war nicht dumm, der Gelbe, oh nein. Immer, wenn er den Hund kommen sah, warf er seine Geschenke für die Hausbewohner einfach über den Zaun, ohne das Grundstück überhaupt zu betreten. Und manchmal, wenn er Rollos wütendes Bellen schon von weitem hörte, hielt er gar nicht erst an. Fuhr einfach vorbei, auf seinem Fahrzeug, das in denselben Farben leuchtete wie seine Jacke und auch genauso roch.
Aber heute würde es anders laufen. Heute müßte er eine leichte Beute werden. Rollo hatte in seinen vielen Kämpfen mit dem Ganter eines gelernt. Er wußte jetzt, daß es geschickter war, sich nicht immer gleich offen zu zeigen oder dem Feind von vornherein seine Anwesenheit durch Bellen zu verraten. Manchmal war es richtig, sich erst zu verstecken und ganz still auf den richtigen Moment zu warten. Und so sollte es heute sein. Er wollte warten, bis der Schwarz-Gelbe das Grundstück betreten hatte und auf dem Weg zum Haus war. Dann erst würde er ihm den Fluchtweg zum Tor abschneiden und ihn angreifen.
Das Jagdfieber ließ seine angespannten Muskeln vibrieren, trieb ihm Speichel ins Maul und kräuselte seine Nackenhaare. Plötzlich wehte der erste fremde Geruch seines Opfers herüber. Es war soweit. Rollo spitzte die Ohren. Jetzt konnte er ihn auch hören. Das 'Klack-klack' seines Gefährts kam immer näher. Rollo tänzelte auf dem engen Raum im Busch hin und her. Lugte durch die Äste, um den besten Blick auf die Straße zu bekommen. Dann sah er ihn. Der Schwarz-Gelbe in voller Größe!
Er war abgestiegen und kam auf das Tor zu. Vorsichtig blickte er sich um. Er zögerte. Rollo zuckte, blieb aber stehen. Noch war es zu früh, sich zu zeigen. Der Gelbe hatte jetzt das Tor geöffnet und kam herein. So ganz schien er dem Frieden nicht zu trauen. Immer wieder sah er nervös nach allen Seiten. Langsam machte er dann die ersten Schritte auf das Haus zu.
Da konnte Rollo sich nicht länger beherrschen. Er brach mit lautem Gebell aus dem Busch hervor. Der Gelbe wirbelte herum. Ohne auch nur einen Blick auf seinen Angreifer zu verschwenden, hechtete er zum Tor zurück. Aber das war inzwischen zugefallen. Er wollte es öffnen, doch Rollo hatte den Abstand zu ihm schon halbiert und kam immer näher herangejagt. Der Gelbe ließ die Türklinke los und sprang statt dessen am Tor hinauf. Im selben Moment war auch Rollo losgesprungen, und als der Mann sich mit letzter Not über den Zaun rettete, kündigte ein lautes Ratschen zumindest von einem Teilerfolg des angriffslustigen Hundes. Ein Stück Hosenbein blieb bei Rollo auf dem Grundstück zurück. Triumphierend legte er es auf die Erde und schickte dem Schwarz-Gelben sein Siegesgebell hinterher.
Die Haustür ging auf, und der Neue kam heraus. Er war zu spät, hatte das beste verpaßt. Aber Rollo war großzügig gestimmt. Er schnappte sein Beutestück und zeigte es dem Mann. Der schien nicht begeistert zu sein, redete zwar, doch das waren nicht die lobenden Worte, die Rollo für seine Anstrengungen erwartet hätte.
Vielleicht mußte er ja nachsichtig mit ihm sein. Er war erst so kurze Zeit im Haus, konnte nicht wissen, daß dieser Schwarz-Gelbe jeden Tag versuchte, hier einzudringen. Rollo legte das Stück Stoff vor den Füßen des Mannes auf die Erde. Der hob es auf und begutachtete es. Noch immer kamen keine anerkennenden Worte von ihm. Konnte er denn nicht diese verwirrenden Gerüche wahrnehmen? Wußte er nicht, daß jemand, der so roch, gefährlich sein mußte?
Ein großes Licht war dieser Neue nicht. Auch längst nicht so nett wie der andere, der wieder weggefahren war. Der war ein guter Gefährte und Spielkamerad. Kein Vergleich zu diesem hier. Er nahm sich jedesmal Zeit, wenn er kam, Zeit für ein Spielchen. Früher war sein alter Lieblingsmensch auch so gewesen. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt war der mit seinen Gedanken immer woanders, hatte keine Lust, sich um ihn zu kümmern.
Rollo beschloß, daß er von nun an einen neuen Lieblingsmenschen hatte. Leider war der heute nicht hier, statt dessen dieser andere, der nichts wußte. Vielleicht sollte er ihm doch noch eine neue Chance geben. Rollo suchte einen Stock und brachte ihn zu dem Neuen. Der hob den Stock auf und sah ihn genauso an, wie er vorhin den Beutestoff betrachtet hatte. Wußte nichts damit anzufangen. Rollo bellte aufmunternd und lief hin und her, zeigte ihm das Spiel, das der andere so gerne spielte.
Der Neue ließ den Stock fallen und sah Rollo an, redete wieder, ohne daß Rollo verstand, was er wollte. Dann sah er ihm direkt in die Augen. Versuchte, seinen Blick festzuhalten, so wie der Ganter das immer getan hatte. Das konnte Rollo sich nicht gefallen lassen. Er stemmte die Vorderpfoten fest in das Gras und richtete sich auf, so hoch er konnte. Sträubte sein Fell und begann, gefährlich zu knurren.
„Blöder Hund“, murmelte Aaron, als er ins Haus zurückging, um sich wieder Lisa zu widmen. Er fand sie im Wohnzimmer. Sie hatte wieder einmal die Beatles aufgelegt.
Something in the way she moves
Attracts me like no other lover,
Something in the way she woos me.
I don't want to leave her now
„So ein blöder Hund“, sagte Aaron noch einmal, jetzt lauter. „Ich versteh einfach nicht, was er von mir will.“
„Spielen will der immer. Sonst nichts. Diana hat ihn vollkommen verwöhnt. Eigentlich sollte er ja ein Wachhund sein. Ist aber ein Spielhund geworden.“
Aaron knurrte einen unverständlichen Fluch. Daß er mit Rollo nicht so richtig zurechtkam, kratzte erstaunlicherweise an seinem Selbstbewußtsein. Dabei hatte er sogar Glück, daß der Hund nicht wichtig für Lisa war. Sonst hätte er sich womöglich noch Rat bei einem Experten holen müssen. Lisa hätte auch gleich gewußt, wen man da fragen könnte:
„Dein Freund hat jedenfalls nicht lange gebraucht, um Rollos Liebling zu werden.“
„Ja, sonderbar ist das.“
„Wieso? Er ist doch nett. Selbst Diana sagt das.“
„Klar ist er nett, sonst wären wir ja nicht befreundet. Aber er kann auch verteufelt eigensinnig sein. Wenn er sich mal was in den Kopf gesetzt hat, ist er nicht so leicht wieder davon abzubringen.“
„Du meinst seine Hartnäckigkeit bei der Suche nach dem Faust?“
„Zum Beispiel.“
„Na, das ist doch auch eine spannende Sache.“
„Findest du? Mir kommt diese ganze Angelegenheit immer abwegiger vor.“
„Ja? Mir nicht. Ist doch ziemlich eindeutig, daß Horst das Buch hatte.“
„Aber die Polizei hat nichts bei ihm gefunden, auch in seiner Wohnung nicht.“
„Du vergißt, daß er zuletzt hauptsächlich hier gewohnt hat. Seine ganzen Sachen sind noch oben.“
„Müßten wir das nicht der Polizei sagen? Das haben die bestimmt noch gar nicht gecheckt.“
„Quatsch. Wir sehen selber nach.“
„Meinst du wirklich?“
„Klar. Dein Freund würde ganz schön Augen machen, wenn wir ihm plötzlich den Faust unter die Nase halten. Los, wir gehen nach oben!“
Aaron war immer noch nicht begeistert. Trotzdem folgte er Lisa ins obere Stockwerk.
Pauls Gesang erschien ihm wie eine Warnung vor dem, was sie vorhatten.
But as the words are leaving his lips
A noise comes from behind.
Bang bang Maxwell's silver hammer came down ...
In Lisas Zimmer durchsuchten sie Horsts Sachen, die in einer großen Reisetasche verstaut waren. Doch da gab es nichts von Interesse. Einiges von seinem Eigentum hatte Horst auch unordentlich im Raum verstreut, aber kein Buch. Lisa öffnete den Kleiderschrank. Zwei Jeans hingen darin auf einem Bügel, und am Boden stapelte sich ein Haufen dreckiger Wäsche.
Aaron war unbehaglich zumute. Das alles erinnerte ihn an Horst, der jetzt wohl im Leichenschauhaus lag. Er schüttelte sich und ging zur Tür. Lisa gab noch nicht auf. Sie durchwühlte auch noch die Wäsche.
„Komm, Lisa, laß uns wieder runter gehen.“
„Ja, gleich, ich will nur noch -“
Mit einem triumphierenden Lächeln hob sie einen Pullover hoch, der seltsam eckig erschien. Sie wickelte ihn auseinander und hielt ein Buch in der Hand. Es sah aus wie die anderen, die unten gestapelt lagen. Lisa las die Signatur. Tatsächlich das fehlende Buch aus Anton Ullrichs Kernbibliothek. Aaron staunte:
„Bingo! Da habt ihr also doch recht gehabt. Herzlichen Glückwunsch!“
Der Wunsch kam zu spät, denn glücklich sah Lisa nicht mehr aus. Sie hatte das Buch nämlich inzwischen aufgeschlagen und hielt es ihm hin. Aus dem Mittelteil waren die meisten Seiten herausgetrennt worden, um so das Versteck für den Faust zu schaffen. Genau wie Anton Ullrich es beschrieben hatte. Doch der Platz, der für das gesuchte Manuskript vorgesehen war, war jetzt leer. Der Faust blieb verschwunden.
Lisa hockte noch immer vor dem Wäschestapel im Kleiderschrank. Dann ließ sie sich enttäuscht auf den Boden fallen.
„So ein Mist! Für einen Moment dachte ich, wir haben es gefunden.“
„Anscheinend hat Horst es herausgenommen und woanders versteckt.“
„Ja, sicher, das wird's sein. Aber wo bloß?“
„Vielleicht hat es ja auch der Mörder mitgenommen. - Oder die Mörderin.“
„Du meinst doch nicht wirklich, Malchen könnte das sein?“
„Ich weiß nicht. Ich kenn sie ja überhaupt nicht richtig.“
„Aber ich. Malchen ist viel zu dumm. Sie hat in ihrem ganzen Leben noch nichts von Faust gehört, weder von Lessings noch von Goethes.“
„Bist du sicher?“
„Ganz sicher. Sie kennt vielleicht so grade eben Lessing, aber auch nur, weil ich gelegentlich von ihm geredet hab. Nein, nein, Malchen war das nicht.“
„Dann sitzt sie also ganz unschuldig im Knast. Müßte man da nicht was unternehmen?“
„Keine Spur! Das tut der Hexe mal ganz gut.“
„Aber Lisa! So kenn ich dich ja gar nicht!“
„Du weißt auch nicht, wie die sich manchmal hier aufführt. Richtig gemein kann sie sein und hinterhältig.“
„Deswegen muß man sie noch lange nicht einkerkern!“
„Du hast doch gehört. Gustav kümmert sich schon darum. Hat bestimmt Dr. Zacharias eingespannt, den alten Zausel.“
Aaron hatte sich neben Lisa auf den Boden gesetzt und das Buch in die Hand genommen. Nachdenklich blätterte er darin. Dann sagte er:
„Seltsam ist natürlich schon, daß sie am Tatort war. Oder zumindest in der Nähe. Was hatte sie da eigentlich zu suchen?“
„Ich kann mir vorstellen, daß sie sich heimlich mit Horst treffen wollte.“
„Warum?“
„Sie ist schon hinter Horst her, seit ich ihn das erste Mal mitgebracht habe. Ging ihr gar nicht um den Mann, glaub ich. Sie konnte es bloß nicht vertragen, daß ich etwas habe, das sie nicht hat. Ständig mußte sie um ihn herumwuseln. Es war richtig widerlich.“
Lisas Augen blitzten jetzt wütend. Diese Erinnerung war wohl noch lebendig.
„Meinetwegen kann sie ihn haben -“
Schon wieder hatte sie vergessen, daß Horst ja tot war, und sie hier in seinen Sachen wühlten. Erschrocken über ihre Gedankenlosigkeit sah sie Aaron an. Dem wurde allmählich klar, daß das Thema 'Horst' für Lisa noch nicht ausgestanden war. Er wollte gern mit ihr darüber reden. Denn er hatte keine Lust, sich nun auch noch mit einem toten Rivalen herumzuschlagen. Da konnte er eigentlich nicht gewinnen. Bis gestern hatte er sicher angenommen, daß Lisa von Horst genug hatte. Aber jetzt, wo er tot war, würden sich vielleicht die Gewichte verschieben. Lisa könnte die unangenehmen Erinnerungen verdrängen und nach und nach mehr an die schönen Zeiten denken, die sie doch gehabt hatten. Besser, es gar nicht erst soweit kommen lassen. Er machte noch einen vorsichtigen Versuch.
„Sag mal, Lisa. Weißt du eigentlich genau, daß du mit Horst fertig warst? Ich mein, ihr habt euch doch bestimmt auch vorher schon gestritten.“
„Was?“
„Euer Streit in Goslar. Worum ging's denn da?“
„Möchte ich jetzt nicht drüber reden.“
„Nee, sag doch mal!“
„Ich will jetzt nicht!“
„Aber irgendwann mußt du doch auch mal -“
„Mal! Mal! Mal! - Malchen! - Malchen hat sich mit Horst getroffen!“
„Ja, das wußten wir schon.“
„Aber sie konnte gar nicht wissen, daß er noch hier ist. Ich wußte es doch auch nicht!“
„Dann wird Horst sich mit ihr in Verbindung gesetzt haben.“
„Weil er etwas von ihr wollte. Vielleicht ist Malchen doch nicht so unschuldig, wie ich dachte.“
Aaron merkte, daß Lisa froh war, wieder über Malchen reden zu können, um von Horst abzulenken. Er tat ihr also den Gefallen und fragte nach.
„Wieso lebt die überhaupt hier bei euch? Daß sie Burckhardts Tochter ist, wußte doch bis jetzt keiner.“
„Ja, stimmt. Aber aufgeführt hat sie sich die ganze Zeit schon so. Sie gehörte irgendwie zur Familie. Ihre Eltern waren ja seit Jahren tot, und sie hat Onkel Hannes seitdem wie eine Art Ersatzvater behandelt.“
„Und wie habt ihr euch verstanden?“
„Malchen war für mich immer eine gute Freundin, früher. Ich war für sie wahrscheinlich eine Ersatzschwester.“
„Hatte sie denn gar kein eigenes Leben?“
„Klingt beinahe so, nicht? Ich glaube, sie hat Horst auch nur als Ersatz für eine echte Beziehung gebraucht.“
„Alles nicht so ganz korrekt.“
„Richtig. Und es funktioniert jetzt auch nicht mehr. Onkel Hannes ist gestorben. Ich war meistens in Braunschweig, und Horst wollte auch nicht wirklich was von ihr. Hat sich nur über sie lustig gemacht.“
„Das hört sich an, als ob Malchen ganz schön arm dran ist.“
„Nein, nein. Das waren doch alles ihre Spielchen. Außerdem: Wer weiß, ob sie nicht auch noch ein Leben hatte, das keiner von uns kennt.“
„Was meinst du denn damit?“
„Es gibt schon einige Sachen, von denen alle nichts wußten. Vor 10 Jahren ist sie mal für ein paar Monate zu einer Tante nach Hannover gefahren.“
„Na und?“
„Als ich die dann später zufällig in Braunschweig getroffen hab, wußte die aber gar nichts davon.“
„Oha!“
„Ja, und als Malchen wieder da war, ist sie eine ganze Zeitlang ziemlich komisch gewesen.“
„Wie komisch?“
„Na, zum Beispiel hat sie immer Frauen mit Kinderwagen so seltsam hinterher geguckt. Ein paarmal wollte sie auch mit mir reden. Aber dann hat sie sich doch nicht getraut.“
„Du meinst, sie hat -“
„Ich hab damals gedacht, sie war schwanger und hat abgetrieben. Und hinterher tat es ihr dann leid.“
„Und von dem Vater keine Spur?“
„Ich weiß ja nicht, aber zu der Zeit gab es nur einen fremden Mann, der ständig in unserem Haus ein- und ausgegangen ist.“
„Nämlich?“
„Gustav Kleist.“
Gustav von Kleist klingelten die Ohren. Irgend jemand mußte über ihn sprechen. Aber er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn er führte gerade selbst ein Gespräch. Am Telefon. Mit Diana Burckhardt.
Diana wollte wissen, was er für Malchen hatte tun können. Kleist erzählte, daß er auf der Inspektion gewesen war, um mit Malchen zu reden, die Polizei ihn aber nicht zu ihr lassen wollte. Dann hatte er den Familienanwalt, Dr. Zacharias, beauftragt. Diana sagte:
„Aber warum ist sie dann noch nicht nach Hause gekommen?“
„Wahrscheinlich hat man sie inzwischen verhaftet, denke ich mir.“
„Und Dr. Zacharias läßt das zu? Unternimmt er denn gar nichts?“
„Bei mir hat er sich nicht gemeldet, aber er wollte wohl heute bei euch vorbei kommen, um euch zu informieren.“
„Was meinst du, Gustav? Soll ich mal hinfahren?“
„Wohin?“
„Na, zur Polizei, Malchen besuchen!“
„Das kannst du dir sparen. Dich werden sie auch nicht mit ihr reden lassen.“
„Oh Gott, oh Gott! Was soll ich denn bloß machen?“
„Dr. Zacharias wird schon veranlassen, was möglich ist. Kümmer du dich jetzt lieber um Lisa. Der wird's doch bestimmt auch nicht gerade gut gehen.“
„Wenn du dich da nicht gründlich täuschst! Die hat Horst schneller vergessen, als du 'Herzog August' sagen kannst. Sie hat schon einen neuen Verehrer, der sich pausenlos um sie kümmert.“
Diana erzählte von Aaron. Und sie fand harte Worte dafür, daß sich dieser 'Büchermensch' derartig rücksichtslos zwischen sie und ihre Cousine gedrängt hatte. Kleist war weniger empört als neugierig und wollte soviel wie möglich über Aaron erfahren. Sehr viel wußte Diana aber selber nicht. Und deshalb wurde ihre Beschreibung schnell wieder zu einer Beschimpfung. Anscheinend hatte sie in den letzten Tagen eine ganze Menge Wut aufgestaut, die jetzt endlich ein Ziel fand. Kleist ließ sie reden. Erst als sie Aarons Anwesenheit im Moment erwähnte und sein Verhalten am Frühstückstisch, reagierte er.
„Was macht er denn jetzt schon wieder bei euch?“
„Der ist gestern gar nicht weggegangen. War über Nacht hier. Ich glaube, er ist schon richtig bei uns eingezogen.“
„Wirklich? Na, das gehört sich nun aber bestimmt nicht! Lisa sollte sich schämen!“
Diana war froh, daß sie endlich jemanden hatte, der ihre Entrüstung teilte. Sie wollte wissen, ob sie nicht etwas tun könnte, um zu verhindern, daß sich dieser fremde Mann in ihrem Elternhaus breit machte. Aber Kleist bestätigte ihr nur, was sie ja auch schon selbst wußte. Lisa hatte nach dem Testament im Haus genausoviel zu sagen wie sie. Vielleicht war das ja eine Quelle ihres Zorns. Sie hatte sich immer als Herrin des Hauses gefühlt. Und jetzt wurde ihr diese Position nicht nur von Malchen streitig gemacht, sondern auch von Lisa.
Kleist war froh, bei einem Thema zu sein, das ihn mehr interessierte als Lisas Liebesleben.
„In dem Haus werdet ihr doch alle drei nicht mehr richtig froh. Ihr solltet ernsthaft daran denken, es zu verkaufen. Ich könnte euch dabei helfen. Vielleicht nehm ich es sogar selbst erst mal, wenn sich kein Käufer findet.“
„Ach, ich weiß nicht.“
„Doch, ganz bestimmt! Je früher, desto besser. Soll ich mich mal umhören?“
„Nein. Das geht nicht. Mit Lisa kann man doch im Moment überhaupt nicht reden, und Malchen ist ja gar nicht da.“
Kleist machte noch ein paar Versuche, das Thema 'Hausverkauf' auf der Tagesordnung zu halten, kam aber damit keinen Schritt weiter. Diana wollte nur noch über ihre beiden Mitbesitzerinnen reden. Nach einer Weile sagte Kleist, daß er sich nun um seine Gastwirtschaft kümmern müßte, und beendete das Gespräch.
Diana blieb danach noch eine Weile sitzen und starrte das Telefon an.
Es stimmte zwar, an eine Entscheidung gemeinsam mit Malchen und Lisa konnte man zur Zeit nicht denken. Aber das war nicht der Grund gewesen, warum sie Kleists Vorschlag so entschieden zurückgewiesen hatte. In Wirklichkeit wußte sie selbst gar nicht sicher, ob sie das Haus überhaupt verkaufen wollte. Immerhin hatte sie fast ihr ganzes Leben hier verbracht.
Es war ihr Zuhause. Immer gewesen.
Als sie noch klein war, dachte sie, alle Kinder würden so leben. Die Wohnungen der anderen lernte sie erst später kennen, die kleinen Wohnungen, ohne einen Garten, ohne die Natur ringsum. Aber dafür gab es in der Stadt jeden Tag viele Spielkameraden. Sie hatte mit Lisa und später mit Malchen auskommen müssen. Nicht gerade einfach, weil die drei sich nicht immer gut verstanden. Aber im großen und ganzen dachte sie doch gerne an die schöne Zeit zurück.
Später sah sie allerdings das Haus mit anderen Augen. Kam es ihr oft vor wie das Ende der Welt. So abgelegen und weit entfernt von dem interessanten Leben in den Straßen und Eisdielen der Stadt. Ihr Vater ließ ihr nicht viele Freiheiten. Immer mußte sie auf dem Grundstück bleiben und sich um die kleinere Malchen kümmern. So war der Kontakt mit anderen Jugendlichen fast unmöglich. Da hatte sie ihr Zuhause mehr und mehr als Fessel betrachtet und sich der Zeit entgegen gesehnt, wo sie es endlich verlassen konnte.
Als es dann soweit war, daß sie als Erwachsene hätte gehen können, wurde sie von ständig neuen Erpressungsversuchen ihres Vaters weiter dort festgehalten. Das Haus wurde für sie endgültig zu einem Gefängnis.
Dem sie nun entkommen konnte.
Das Verlangen danach war in den letzten Jahren übermächtig geworden. Doch seit dem Tod ihres Vaters hatte sich erneut alles geändert. Die Türen des Hauses standen jetzt für sie offen, das Gefängnis wurde damit wieder zu einem Heim.
Ihrem Heim.
Wollte sie das wirklich aufgeben? Eigentlich nicht. Andererseits würde es natürlich auch ohne Hannes nicht mehr dasselbe sein. Sie hatte ihren Vater schließlich trotz seiner diktatorischen Ader auch geliebt. Und sie vermißte ihn. Malchen und Lisa wollten nicht hierbleiben. Aber alleine würde ihr das Haus vielleicht unheimlich werden. Genau genommen war es das jetzt schon, ohne Malchen.
Diana stand auf und verließ das Zimmer. Im ganzen oberen Stockwerk war niemand. Eben hatten da noch Lisa und ihr neuer Freund herumgepoltert. Die waren wohl wieder nach unten gegangen. Man hörte ihre Musik bis hier oben.
We would be warm
Below the storm
In our little hideaway beneath the waves
Resting our head
On the sea bed
In our octopus's garden near a cave.
We would sing and dance around
Because we know we can't be found.
Diana ging an den Türen der Zimmer vorbei und blieb dann vor dem ihres Vaters stehen. Seit seinem Tod hatte sie es nicht mehr betreten. Jetzt ging sie hinein.
Der Raum roch leicht muffig. Sie öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Der Geruch änderte sich nicht. Wenn sie es recht bedachte, hatte es hier auch immer so ähnlich gerochen. Es war ihr vertraut. Die Umgebung und der Geruch gaben ihr das Gefühl, ihr Vater wäre noch da, würde gleich hereinkommen.
Auf dem Schreibtisch am Fenster lag ein Fotoalbum. Diana schlug es auf und sah sich selbst als Kind. Zusammen mit Lisa und Malchen stand sie auf dem Hof. Drei muntere, glückliche Mädchen.
Vielleicht gab es ja doch noch eine Möglichkeit, daß es wieder so werden könnte! Unter Umständen könnte sie erst einmal Lisa überreden dazubleiben. Später vielleicht auch Malchen.
Sie müßte es zumindest versuchen. Vater hätte das auch gewollt.
Laute Musik aus dem Wohnzimmer zeigte Diana, wo ihre Cousine war.
Takes her out to look at the Queen
Only place that he's ever been
Always shouts out something obscene
Such a dirty old man.
Wie sie es erwartet hatte, war natürlich auch wieder dieser Herr Schmitt bei Lisa. Er saß aber nicht einfach neben ihr, sondern tänzelte ständig um sie herum. Mal näherte er sich von der einen, dann von der anderen Seite, so als wollte er sie lückenlos umzingeln und alles andere von ihr fernhalten.
Schüchtern kam Diana näher und sagte:
„Lisa, hast du mal einen Moment Zeit? Ich müßte etwas mit dir besprechen.“
„Ja, sicher. Worum geht's?“
Aaron wußte, daß er bei Diana nicht gerade beliebt war. Deshalb versuchte er, die Gelegenheit zu nutzen, um ein paar Pluspunkte zu sammeln. Er ließ die Frauen rücksichtsvoll alleine. Vielleicht könnte er ja inzwischen einen neuen Versuch machen, Rollos Sympathie zu gewinnen.
Diana war sichtlich erleichtert, daß sie frei sprechen konnte.
„Ich überlege gerade, was denn nun aus dem Haus werden soll. Meinst du, du kannst wenigstens noch eine Weile bleiben?“
„Aber klar! Ich laß dich doch hier nicht alleine! Wo jetzt sogar Malchen noch weg ist.“
„Aber Malchen kommt ja bald zurück. Bleibst du dann auch noch hier?“
„Ich kann mir nicht vorstellen, daß Malchen so schnell wiederkommt.“
„Gustav meint, die Polizei kann sie nicht länger festhalten.“
„Ja? Das klang gestern aber noch ganz anders.“
„Hat der Kommissar dir was erzählt?“
„Das nicht gerade, aber es sieht aus, als ob sie sich jetzt endgültig auf uns eingeschossen haben. Erst haben sie versucht, mich über Malchen auszuquetschen, -“
„Wie, was?“
„Wie ihr Verhältnis zu Horst war, ob sie Geld brauchte oder sich seltsam benommen hätte, zuletzt - alles Mögliche.“
„Was hast du gesagt?“
„Na nichts. Ich werd denen doch nicht noch helfen. Als sie gemerkt haben, daß sie nichts über Malchen herauskriegen, sind sie dann auf mich losgegangen.“
„Aber du warst doch gar nicht da!“
„Ist denen egal. Lauter so verrückte Sachen haben sie mich gefragt. Warum ich mich mit Horst gestritten hätte, was er von mir wüßte, das ich verheimlichen wollte.“
„Wie furchtbar! Lisa. Wie furchtbar!“
„Kannst du wohl sagen.“
„Warum suchen die ihren Mörder denn nicht woanders?“
„Na ja, sie denken, alle drei Morde hängen zusammen.“
„Und die Opfer hatten alle mit unserem Haus zu tun.“
„Oder mit etwas, das lange Zeit hier gewesen ist.“
„Was soll das denn sein?“
Lisa erzählte Diana von der Suche nach dem Faust. Diana verstand erst gar nicht, worum es da ging und warum ein einziges Buch so wichtig sein sollte. Lisa mußte es ihr ganz ausführlich erklären. So richtig überzeugt war sie trotzdem nicht. Aber dann entdeckte sie an dieser neuen Theorie auch noch etwas Gutes.
„Das haben wir ja alle nicht gewußt! Also muß es doch jemand von außen gewesen sein!“
„Hast du recht. Ich wüßte auch schon, wer. Würde mich nicht wundern, wenn dein Herr Kleist seine Finger in diesem Spiel hätte.“
„Das ist mal wieder typisch, daß du gleich an Gustav denkst! Dabei ist er schließlich der einzige, der immer für mich da ist.“
„Ja, eben!“
„Wie 'eben'? Du hängst ja ständig mit diesem Bibliotheksmenschen herum. Was hat der eigentlich für ein Interesse, plötzlich hier aufzutauchen?“
„Aaron ist kein 'Bibliotheksmensch'! Er ist Wissenschaftler und versucht nur -“
„Ein seltsamer Gelehrter ist mir das! Und was er hier versucht, ist schon klar.“
„Er ist hier, weil ich das will. Er hilft mir, mit all dem zurechtzukommen. Und seltsam ist er gar nicht, sondern sehr vernünftig.“
„Vernünftig ist doch wohl eher sein Freund. Warum hast du den nicht eingeladen, hier zu wohnen?“
„Die Auswahl meiner Freunde mußt du schon mir überlassen!“
„Überhaupt. Horst ist gerade erst gestorben. Und schon hast du einen neuen Liebhaber! So etwas gehört sich nicht! Sagt Gustav auch.“
„Dein Gustav kann mich mal! Und die Beziehung mit Horst war längst zuende. Außerdem ist mir vollkommen gleichgültig, was die Leute sagen.“
„So ganz gleichgültig sollte dir das auch nicht sein.“
„Ist es aber, und was du davon denkst, ist mir auch egal.“
Lisa war richtig laut geworden, und Diana wollte ihr genauso antworten, besann sich dann aber eines besseren. Sie schluckte herunter, was sie eigentlich auf den Lippen gehabt hatte, atmete ein paarmal tief durch und sagte dann, betont ruhig:
„Ich wollte dir ja gar nichts vorschreiben, aber dann red du mir auch nicht immer gegen Gustav.“
„Diana, du kannst machen, was du willst. Ich hab doch bloß Angst, er nützt dich aus.“
„Brauchst du nicht. Ich weiß schon selber, was ich will, vielleicht. Gustav macht sich jedenfalls nur Gedanken, wie er mir helfen kann.“
„Aha. Und was denkt er sich da so?“
„Er meint, wir drei sollten eine Gesellschaft gründen.“
„Was ist denn das wieder für eine Schnapsidee?“
„Gar nicht. Wir müssen doch jetzt immer gemeinsam entscheiden.“
„Und das ist schwer genug.“
„Eben. Wir wissen ja noch nicht mal genau, was alles zu unserem Besitz gehört, und erst recht nicht, wie wir das aufteilen sollen.“
„Und da hilft es uns, eine Gesellschaft zu gründen?“
„Ja. Gustav sagt, die Gesellschaft verwaltet den ganzen Besitz und versucht, Gewinn zu machen, der an uns verteilt wird. Dann hätten wir erst mal Geld und können uns in Ruhe überlegen, wie es weitergehen soll.“
„Hm. Klingt wirklich gar nicht so schlecht.“
„Siehst du.“
„Aber der geschäftsführende Direktor dieser Gesellschaft wäre dann sicher Herr Kleist, oder?“
Bevor Diana das bestätigen konnte, Gustav Kleist hatte tatsächlich etwas Ähnliches vorgeschlagen, öffnete sich die Tür, und Aaron sah herein. Er hatte das Letzte noch gehört und sagte:
„Was ist schon wieder mit Herrn Kleist?“
Keine der Frauen machte Anstalten, ihm direkt zu antworten. Und so erinnerte er sich daran, weshalb er eigentlich gekommen war.
„Da ist ein gewisser Doktor Zacharias an der Tür. Will Diana sprechen. Mir wollte er nicht sagen, weshalb.“
Diana sprang auf, um Dr. Zacharias hereinzulassen. Sie führte ihn zu den anderen ins Wohnzimmer. Der Anwalt begrüßte Lisa und warf Aaron einen mißtrauischen Blick zu. Dann sprach er und sah dabei abwechselnd Diana und Lisa an.
„Meine Damen, ich bedauere es über die Maßen, daß solch ein unerfreulicher Anlaß mich herführt. Bei unserer letzten Zusammenkunft hatte ich Ihnen ja durchaus angenehme Nachrichten zu übermitteln, nicht wahr? Obwohl ja damals der auslösende Grund auch eher trauriger Natur war. Insofern sollte es mich nicht wundernehmen, wenn Sie diesbezüglich-“
„Was will der Mann?“, platzte es aus Aaron heraus.
Zacharias schenkte ihm einen weiteren mißbilligenden Blick.
„Frau Burckhardt, Frau Eschenburg, meine Mandantin hat mich zwar beauftragt, Sie persönlich über den Stand der Dinge zu informieren, - ein Unterfangen, das durchaus nicht im Rahmen meiner geschäftsmäßigen Routine liegt, wenn ich das sagen darf - aber ich weiß nicht, ob ich in Anwesenheit eines Außenstehenden wirklich -“
„Beachten Sie Herrn Schmitt nicht weiter. Er kann ruhig hören, was Sie zu sagen haben“, meinte Lisa.
Diana wurde ungeduldig: „Was ist denn jetzt mit Malchen? Kommt sie frei?“
„Frau Burckhardt, darf ich mich zunächst vergewissern, daß auch Sie keinerlei Vorbehalte bezüglich der Anwesenheit des Herrn Schmitt hegen?“
„Wie? Nein, ich hege nicht. Reden Sie doch endlich, Mann!“
Dr. Zacharias hob die buschigen Augenbrauen und setzte dann erneut an:
„Nun gut, meine Mandantin läßt Sie grüßen und Ihnen ausrichten (ich zitiere wörtlich): 'Es wird schon alles wieder gut.' Eine Einschätzung der rechtlichen Lage, wenn ich das sagen darf, die von einem gewissen Optimismus geprägt ist, den ich nicht unbedingt teile.“
Er sah in die Runde, um die Wirkung seiner Worte abzuschätzen. Die anderen blieben still. Lediglich Paul gab einen Kommentar ab:
And so I quit the police department
And got myself a steady job
And though she tried her best to help me
She could steal but she could not rob.
Lisa bot dem Anwalt jetzt erst einmal einen Platz an, und alle setzten sich. Diana war mit der Auskunft noch keineswegs zufrieden, und Lisa forderte Zacharias auf zu berichten, was er denn auf der Inspektion erreicht habe. Der sammelte sich einen Moment und fuhr dann fort:
„Nun, bedauerlicherweise ist meine Mandantin nicht gerade ausgesprochen kooperativ. Sie wollte zunächst überhaupt nicht vertreten werden, und wenn Herr Kleist sie nicht genötigt hätte, meine Vollmacht zu unterschreiben, stünde ich heute gar nicht hier. Gleichwohl sind mir auch so bisher weitestgehend die Hände gebunden gewesen, alldieweil Frau Jacobi sich nachdrücklich weigerte, einen Sachvortrag aus ihrer Sicht abzugeben. Sie machte insoweit von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Leider auch gegen mich.“
Immer noch verdutzt über dieses sonderbare Verhalten seiner Mandantin sah der Anwalt von einem zum anderen. Doch in den Gesichtern der Anwesenden konnte er auch keine Erklärung dafür finden. Lisa sagte:
„Sie spricht nicht mit Ihnen?“
„Bis heute nicht. Nein. Insofern mangelte es mir natürlich an Argumenten, die ich dem Haftrichter vorlegen konnte. Der hat folgerichtig dem Antrag der Oberstaatsanwältin Schwerer entsprochen, Haftbefehl erlassen und Untersuchungshaft angeordnet.“
„Ach du liebe Güte! Die arme Malchen! Oh Gott, oh Gott.“
Diana war ganz außer sich, und auch Lisa blickte besorgt drein. Dr. Zacharias beeilte sich deshalb fortzufahren:
„Nun, erfreulicherweise darf ich Sie ein wenig beruhigen, insofern sich die Sachlage inzwischen merklich geändert hat. Herr Kleist hat mich dankenswerterweise über einige weitere Umstände in Kenntnis gesetzt, und heute ist es mir auch gelungen, doch noch in ein Gespräch mit meiner Mandantin einzutreten. Ich habe daraufhin sofort einen neuen Haftprüfungstermin beantragt. Der ist leider infolge gegenwärtiger Abwesenheit des Untersuchungsrichters erst auf kommenden Freitag festgesetzt worden.“
Diana rief: „Dann muß sie bis Freitag im Gefängnis bleiben? Können Sie denn nicht noch etwas anderes unternehmen?“
„Nun, in dem Fall stelle ich anheim, das Verwaltungsgericht anzurufen.“
„Und dieses Gericht läßt sie dann frei?“
„Wer weiß, wie die Kammer entscheiden mag. Wir Juristen sagen immer: Auf hoher See und vor dem Verwaltungsgericht sind wir alle in Gottes Hand.“
Belustigt durch den eigenen Witz, konnte Dr. Zacharias ein Lachen nicht unterdrücken. Es begann kichernd, wurde dann zu einem Gluckern und verstummte abrupt, als er merkte, daß sein Humor bei den anderen auf kein Verständnis stieß. Lisa sagte:
„Ist es denn sicher, daß Sie Malchen am Freitag freibekommen?“
„Nun, es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario, ja. Ich kann immerhin nachvollziehbar argumentieren, daß eine Fluchtgefahr nahezu ausgeschlossen ist. Darüber hinaus kann ich nunmehr auch einen Grund für ihre Anwesenheit am Tatort anbieten. Und weitergehendes Belastungsmaterial existiert ja augenscheinlich nicht.“
„Malchen hat gesagt, was sie im Park wollte?“
„Nun ja, Frau Jacobi gibt an, sie sei auf Wunsch des im vorliegenden Fall Geschädigten zu einem Treffen mit demselben erschienen.“
Diana verstand gar nichts mehr. Lisa erklärte es ihr:
„Sie sagt, Horst hätte sie dahin bestellt.“
Lisa und Aaron sahen sich an. Aaron fragte:
„Weiß man auch, warum er das getan hat?“
„Nun ja, der Einlassung meiner Mandantin nach hat Herr Wagner wohl infolge eines Streits mit seiner damaligen Verlobten keine Möglichkeit mehr gesehen, auf das Anwesen zu gelangen. Er benötigte aber dringend etwas, das er hier zurückgelassen hätte. Bei der Zusammenkunft hat er Frau Jacobi gebeten, ihm das beizubringen.“
Weiter mit Kapitel 21